Recht sprechen
Von Moritz Assall
Spitzfindige sprachliche Ausführungen gehören vor Gericht ja quasi zum Einmaleins. Der Strauß der sprachlichen Überlegungen ist dabei weit. Zum Beispiel im Strafrecht: Was ist ehrverletzende Beleidigung, was nicht? Nicht in Ordnung ist zum Beispiel die Bezeichnung »promovierter Arsch« (AG München) oder die Beschimpfung als »Henker im Wartestand« (AG Spaichingen), wohingegen die Bezeichnung eines anderen Parteimitglieds als »Betrüger, Rechtsbrecher, Lügner, Halunke und Gauner« vom OLG Karlsruhe offenbar als gängiger Umgang in Parteien angesehen wurde, jedenfalls wurde hier eine Strafbarkeit verneint. Gegenüber Polizist*innen hängt die Latte da schon deutlich tiefer, hier ist bekanntlich schon das »Du« eine Beleidigung, außer bei Dieter Bohlen. Denn wenn Dieter Bohlen Beamt*innen duzt, ist das laut LG Hamburg nicht strafbar, immerhin gehört »das Duzen zu seinen normalen Umgangsformen«. Alle anderen Nicht-Dieters dürfen Polizeibeamt*innen bei Bedürfnis zumindest als »Oberförster« bezeichnen, und das laut AG Berlin-Tiergarten sogar, obwohl »das Gericht nicht verkennt, dass hiermit eine gewisse sprachliche Nähe zu dem ›Oberlehrer‹ hergestellt ist«.
Die im Wahlkampf nebelkerzenartig aufgeworfene Frage nach dem sprachlichen Gendern ist deutlich seltener Thema vor Gericht, eigentlich fast nie. Aber auch dazu gibt es Urteile. Das vielleicht früheste erging am 29. Januar 1887 durch das Schweizer Bundesgericht. Es ging um Folgendes: Der Juristin Emilie Kempin-Spyri war untersagt worden, als Anwältin zu arbeiten. Zwar hatte sie alle erforderlichen fachlichen Qualifikationen, da sie aber eine Frau war, durfte sie aus Sicht des Gerichts nach geltendem Recht nicht als Anwältin arbeiten. Emilie Kempin-Spyri brachte dagegen das generische Maskulinum in Anschlag. Sie argumentierte, dass beim Begriff »Schweizer« in der Verfassung sprachlich auch Frauen mitgemeint seien, eine solche Ungleichbehandlung also verfassungswidrig sei. Dieses Argument brachte das Gericht nun so richtig auf die Palme. Es sei »ebenso neu als kühn« zu denken, der Begriff »Schweizer« umfasse auch die Schweizerinnen. Klare Sache: diese Auffassung der Klägerin könne »nicht gebilligt werden«, dazu bedürfe es »in der That keiner weiteren Ausführung«, denn es würde »zu geradezu unmöglichen Konsequenzen« führen. Gleichstellung von Frauen in der Verfassung? Einfach unmöglich! Immerhin sei die Ungleichbehandlung der Geschlechter »eine der innern Begründung keineswegs entbehrende«! Na dann. Emilie Kempin-Spyri wurde später dennoch zur Vorreiterin. Sie war die erste Frau, die in der Schweiz als Juristin promoviert wurde und sich habilitierte. Als Anwältin durfte sie aber Zeit ihres Lebens nicht arbeiten.
Eine deutlich neuere Entscheidung zum Thema Gendern erging Mitte dieses Jahres durch das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein. Eine zweigeschlechtlich geborene Person hatte sich auf eine Stelle beworben, war aber abgelehnt worden. Nun machte sie Ansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz geltend mit dem Argument, die in der Ausschreibung genutzte Formulierung »Bewerber*innen« mit Gendersternchen sei nicht geschlechtsneutral und deswegen diskriminierend. Statt des Begriffs »Bewerber*innen« hätte das Wort »Menschen« verwendet werden müssen. Das Gericht folgte dem allerdings nicht. Es entschied, dass die Verwendung des Gendersternchens keine Diskriminierung darstelle, sondern ganz im Gegenteil einer geschlechtersensiblen und diskriminierungsfreien Sprache diene. In der Entscheidung steht: »Das Gendersternchen ist momentan eine der am weitesten verbreiteten Methoden, um gendergerecht zu schreiben und die Vielfalt der Geschlechter deutlich zu machen.« Und auch, wenn hinter diesem Verfahren wahrscheinlich eine traurige Geschichte steht: Dass ein deutsches Arbeitsgericht so klar und selbstverständlich die Vielfalt der Geschlechter und die Sinnhaftigkeit geschlechtersensibler Sprache anerkennt, das ist dann doch tatsächlich einfach mal wirklich schön.