Rawls egalitärer Liberalismus, leicht verfeinert
Aufgeblättert: Danielle Allens »Politische Gleichheit«
Von Jens Kastner
Politische Gleichheit ist ein großer Begriff. Die Politikwissenschaftlerin Danielle Allen definiert ihn als Phänomen, das sich aus fünf Aspekten zusammensetzt: »aus Herrschaftsfreiheit, gleichberechtigtem Zugang zum Regierungsapparat, epistemischem Egalitarismus, gleicher, sich auf Praktiken der Gegenseitigkeit stützender Handlungsmacht (agency) sowie Mitgestaltung von und Miteigentümerschaft an unseren politischen Institutionen«. Sie orientiert sich bei diesen Kriterien an der »Theorie der Gerechtigkeit« von John Rawls, erweitert dessen liberales Paradigma jedoch: Gerechtigkeit entsteht nicht allein durch den Schutz individueller Autonomie, stattdessen sei auch die Garantie öffentlicher Autonomie – Versammlungsfreiheit, das Recht auf Rechte, liberale Zugehörigkeitspolitik u.a. – dafür ausschlaggebend. Politische Gleichheit sei ein »unverzichtbares demokratisches Werkzeug«.
Allen überschreitet den Diskursrahmen von Rawls egalitärem Liberalismus kaum. Selbst die Kritische Theorie rezipiert sie nicht, obwohl das durchaus nahe gelegen hätte – etwa anhand des Werkes »Kulturelle Vielfalt und demokratische Gleichheit« von Seyla Benhabib, das ebenfalls aus einer Adorno-Vorlesung hervorgegangen ist. So hat Allen zwar einen elaborierten Kommentar zu John Rawls Theorie der Gerechtigkeit verfasst, der dessen Ansatz in vielerlei Hinsicht erweitert und radikalisiert. Gemessen an den Erwartungen aber, die ein Großkonzept wie »politische Gleichheit« weckt, ist das Buch ein wenig enttäuschend.
Danielle Allen: Politische Gleichheit. Suhrkamp, Berlin 2020, 240 Seiten, 28 EUR.