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Rap nach den Troubles

Das Belfaster Trio Kneecap pendelt auf seinem Album »Fine Art« zwischen Bürgerkriegs-Folklore und Hedonismus

Von Yosina Koster

Zwei Personen sitzen vor einem Tresen, dahinter eine Person mit Sturmhaube.
Angeben oder abstürzen: Kneecap rappen über das Leben in der Arbeiter*innenklasse in Belfast. Foto: Peadar Gill

Ausverkaufte internationale Touren, einen biografischen Film auf dem Sundance Festival mit Michael Fassbender in einer Hauptrolle – Kneecap ist längst kein Geheimtipp mehr. Und das, obwohl nur wenige Fans die Lyrics der Rapper aus Belfast tatsächlich verstehen dürften. Jetzt ist ihr zweites Album »Fine Art« erschienen. Mo Chara, Móglaí Bap und DJ Próvaí rappen mehrheitlich auf Irisch-Gälisch, der Sprache, die durch die Unterdrückung der britischen Kolonialherrschaft fast ausstarb und wiederbelebt wurde, als die politischen Gefangenen der Irish Republican Army (IRA) sie sich gegenseitig beibrachten, um sich im Gefängnis zu verständigen. Heute sprechen rund 70.000 Menschen Irisch-Gälisch als Muttersprache.

Kneecap sorgen mit ihren politischen Affronts immer wieder für Furore. Schon der Name ist eine Referenz auf die IRA, die Kneecapping – also Knieschüsse – als Bestrafung einsetzte. Mit brennenden Polizeiautos, »Brits-out!«-Parolen und ihrem Bekenntnis zum irischen Republikanismus sorgen sie für Entsetzen bei Unionist*innen, jenen meist protestantischen Nordir*innen, die im Vereinigten Königreich bleiben wollen, und der britischen Regierung, die dem Rap-Trio deshalb ein Kulturförderstipendium in der Höhe von 15.000 Pfund entzog. Das Zelebrieren von Drogenkonsum führte zu einer Sperrung im irischen öffentlich-rechtlichen Sender RTÉ.


Party und Politik

Diese Kombination aus Hedonismus und politischer Positionierung macht auch »Fine Art« aus: Drogen, Raves, das republikanische Erbe und die ironische Antwort auf britische Vorurteile gegenüber Irland. Doch die Sprache der Großeltern und Eltern in der IRA ist nicht dieselbe wie die der neuen Generation. Während der Troubles, wie der lange Bürgerkrieg in Nordirland genannt wird, wurden Drogendealer in IRA-Gebieten gekneecapped, heute startet das Album mit einer Laudatio auf 3CAG, gemeint ist MDMA. Wo die Sprache kein Vokabular für modernen Slang anbietet, entwickelt Kneecap sie einfach selbst weiter. Das Album lässt die Hörenden in die Welt von Kneecap eintauchen: verrauchte Pubs im republikanischen West Belfast; britische Radiomoderator*innen, die sie höchstens halb ernst nehmen; die halsbrecherische Balance zwischen selbstzerstörerischem Hedonismus und dem Versuch, trotz des »low-life-scum«-Lifestyles eine einigermaßen stabile psychische Gesundheit zu behalten (»Sick in the Head«). Das Album ist inspiriert vom Dokumentarfilm »Dancing on Narrow Ground: Youth & Dance in Ulster«. Der Film von Desmond Bell dokumentiert die Raves, welche Mitte der 1990er Jahre – also in den letzten Jahren der Troubles – unionistische wie republikanische Jugendliche im Norden von Irland trotz der mehr als angespannten politischen Situation gemeinsam tanzen ließen. Somit ist die Botschaft von »Fine Art« versöhnlicher, als es Kneecaps politisches Kokettieren vermuten lässt.


Gewalt und Traumata sind Teil ihrer Biografien.

Tatsächlich kann Kneecap nicht als moderne Interpretation der irischen Rebel Music verstanden werden. Diese Musik besang unter den Klängen irischer Folklore den bewaffneten Kampf der IRA. In Interviews betonen Kneecap, dass mit »Brits Out!« die Besatzung Irlands durch das Vereinigte Königreich und deren Institutionen gemeint ist und nicht etwa ihre britischen Mitbürger*innen im Norden von Irland.

Die Kollaboration mit Grian Chatten der Post-Punk-Band Fontaines D.C. aus Dublin auf dem Track »Better Way to Live« ist der radiotaugliche Hit des Albums und fängt die Atmosphäre in Belfast gut ein. Gerade die republikanischen Viertel Belfasts und ihre eindrückliche Geschichte, welche an jeder Ecke durch Wandbilder präsent ist, lassen sich aus linker Perspektive wunderbar romantisch verklären. Und mit etwas Glück trifft man an einem Freitagabend im West Belfaster Pub Felons nicht nur ehemalige IRA-Mitglieder mit Glatzen und politischen T-Shirts, sondern auch jüngere, progressive linke Aktivist*innen und Kneecap selbst auf einen Pint.


Unterklasse

Genau diese Erfahrung scheinen auch die diversen Rap- und Musikjournalist*innen zu suchen, wenn sie Kneecap in Belfast besuchen und mit spürbar glänzenden Augen über das faszinierende, authentische, rohe Belfast von Kneecap schreiben.

Doch die Realität ist komplexer. West Belfast, das ist auch: Armut, Arbeitslosigkeit, Alkohol-, Drogen- und Spielsucht, Wohnungsnot, und Perspektivlosigkeit für junge Menschen. Letztendlich ist es das, was die republikanischen Jugendlichen mit ihren unionistischen Nachbar*innen auf der anderen Seite der hohen Mauer, die die unionistischen von den republikanischen Vierteln trennt, verbindet: Die ökonomischen Verhältnisse sind auf beiden Seiten miserabel. In West Belfast leben 32 Prozent aller Kinder in Armut, was auch das unionistische Viertel Shankill betrifft.

Das Good-Friday-Abkommen, das Ende des Bürgerkriegs, hat 1998 nicht geliefert, was es versprochen hat. Und doch stehen Kneecap hinter dem Abkommen. Die drei haben die Nachwehen der Troubles miterlebt; Gewalt und Traumata sind Teil ihrer Biografien. Sie wissen, dass der Feind nicht der*die Nachbar*in aus Shankill ist, der genauso arbeitslos und spielsüchtig ist wie ihr Umfeld. Es geht in »Fine Art« um Gemeinsamkeiten, um die Party der Hoffnungslosen, um den gemeinsamen Mittelfinger gegen oben.

Yosina Koster

lebt in der Schweiz, schreibt über Rap und seine gesellschaftlichen sowie politischen Facetten.