Wie kann er gestoppt werden?
Paul Masons Buch über den historischen wie aktuellen Faschismus und Gegenstrategien der Linken
Von Gerd Wiegel
Die anhaltende Erfolgswelle einer modernisierten radikalen Rechten mit Verbindungen zum Faschismus stellt die Linke, zumindest ihren marxistisch orientierten Teil, vor Erklärungsprobleme. Weder die USA noch europäische Gesellschaften stehen einer »Gefahr« von links gegenüber, die die Grundlagen kapitalistischer Wirtschaft in Frage stellt. Auch befinden sich diese Gesellschaften in keiner so fundamentalen Krise, dass entscheidende Teile des herrschenden Blocks sich nach autoritären politischen Lösungen umsehen und ihr Heil in neuen Formen des Faschismus suchen. Führende Kapitalfraktionen setzen auf Globalisierung, Freihandel, ungebremste Arbeitskraftzufuhr durch Migration und das Absenken nationaler Barrieren.
Und dennoch sind zunehmend politische Formationen erfolgreich, die ideologisch für das Gegenteil stehen: nationale Abschottung, Zuwanderungsstopp und die Ethnisierung sozialer Verhältnisse. Der Aufstieg dieser modernisierten radikalen Rechten, der mit der Präsidentschaft Donald Trumps, den Erfolgen Marine Le Pens, dem Aufstieg von Parteien wie der FPÖ in Österreich, der Lega in Italien, der deutschen AfD oder den Regierungen in Polen, Ungarn oder Brasilien zum Ausdruck kommt, sind Ausweis dieses Erfolges. Begleitet und bedingt werden diese Erfolge durch die Verbreitung von Ideologiemomenten in breiteren Teilen der Bevölkerung, die eindeutige Bezüge zum Ideologiebestand des Faschismus haben.
Das neue Buch des britischen Autors und Fernsehjournalisten Paul Mason, hierzulande bekannt vor allem durch sein Buch »Postkapitalismus«, nimmt diese Ideologiemomente des Faschismus in der Gegenwart genauer in den Blick und fragt nach möglichen Gegenstrategien. Mason, der sich als antifaschistischer Aktivist und Marxist vorstellt, legt eine wichtige und erhellende Studie vor, die vor allem die linke Debatte zum Aufstieg eines neuen Faschismus kritisiert, um sie neu zu justieren und zu schärfen.
Ideologisches Vakuum
»Ideologie«, »Geschichte« und »Widerstand« heißen die drei Teile des Buches. Im ersten geht Mason den aktuellen Ausprägungen faschistischen Denkens in der Gegenwart und seiner Verbreitung in größer werdenden Teilen der Bevölkerung nach. Im zweiten Teil nimmt er den Aufstieg des Faschismus in Italien und Deutschland in den Blick, und der dritte Teil widmet sich den Voraussetzungen für einen erfolgreichen Widerstand gegen den Faschismus, der vor allem in einer angemessenen Analyse der faschistischen Gefahr besteht, an der es Mason zufolge der Linke mangelt.
Zwar deutet der Autor den Faschismus als »ein wiederkehrendes Symptom des Systemversagens im Kapitalismus«, um diese scheinbar traditionell linke Deutung sogleich zu konterkarieren, indem er dieses Versagen nicht als wirtschaftliches, sondern ideologisches deutet. Die Eigenständigkeit und Wirkungsmächtigkeit faschistischer Ideologie steht im Mittelpunkt des Buches von Mason, womit er vor allem einen verkürzten Ökonomismus marxistischer Faschismustheorien kritisiert, wiewohl er sich immer wieder in die Tradition marxistischer Gesellschaftskritik stellt.
Mason deutet den Faschismus als »ein wiederkehrendes Symptom des Systemversagens im Kapitalismus«, um diese scheinbar traditionell linke Deutung sogleich zu konterkarieren.
Faschistisch sei nicht der rechte Populismus an der Regierung, sondern die sich immer weiter verbreitende und ihn tragende Ideologie der ethnischen Reinheit, männlicher Suprematie, die Vorstellung eines »Rassekrieges«, die Verbreitung von Verschwörungsmythen und die Erwartung eines totalen Zusammenbruchs (Tag X). Diese faschistischen Elemente findet Mason in breiten Bewegungen von Indien über die USA bis hin zur Pegida-Bewegung in Deutschland und auch an anderen Orten in Europa; in ihnen sieht er die Basis eines neuen Faschismus. Dieser zeige zwar ein anderes Gesicht als sein historischer Vorläufer, profitiere aber von zentralen Entwicklungen der Gegenwart und dringe immer tiefer auch in konservative Kreise vor – wie am Beispiel der USA deutlich werde. Mason beschreibt den neuen Faschismus als einen Prozess des gesellschaftlichen Zusammenbruchs. Die Dominanz der auf Emotionen basierenden Bilderflut der sozialen Medien, die dem antiaufklärerischen Wesen des Faschismus entgegenkomme, befördere diesen genauso wie der Hegemonieverlust des Neoliberalismus, der ein ideologisches Vakuum hinterlasse, in das der neue Faschismus stoße. Immer wieder mahnt Mason dazu, die ideologischen Brüche stärker in den Blick zu nehmen und sich nicht auf sozioökonomische Ableitungen zu verlassen.
Hier liegt der Hauptvorwurf Masons am linken Antifaschismus der Zwischenkriegszeit, der die ideologische Durchschlagskraft des historisch neuen Phänomens Faschismus unterschätzt habe. So interessieren den Autor vor allem die ideologischen Angebote des Faschismus, die dieser den Massen in einer Krisenphase des Kapitalismus nach dem Ersten Weltkrieg anbot. Die Herausbildung eines kohärenten Systems des Antirationalismus, das Mason auf Nietzsche zurückführt, habe dem Faschismus als geistige Basis gedient, die in einer Krisenphase massenwirksam wurde.
Beharren auf Aufklärung und Rationalität
An den Beispielen Italien und Deutschland geht er dem Aufstieg des Faschismus nach und nimmt vor allem das Versagen der Linken in den Blick. Nicht zufällig ist Gramsci einer seiner wichtigsten Bezugspunkte, hob dieser doch in seiner Hegemonietheorie immer wieder die (relative) Eigenständigkeit des politischen Überbaus hervor. Die Unfähigkeit zur Unterscheidung von liberaler bürgerlicher Demokratie und Faschismus, wie sie zeitweilig in der orthodoxen marxistischen Politik dieser Zeit zum Ausdruck kam, ist für Mason ein zentraler Punkt der Kritik, in die er allerdings auch die Sozialdemokratie miteinbezieht.
Dabei geht es Mason nicht um die Verabschiedung der politischen Ökonomie oder des Marxismus, sondern um dessen Erweiterung und Differenzierung. Denn, so der Autor, nur eine marxistische Linke auf dem Stand der Zeit könne ihren Beitrag zur Verhinderung eines neuen Faschismus leisten, insbesondere in Zeiten der starken Differenzierung von Klassenlagen und der Abwendung von Teilen der Linken von bestimmten Klassenmilieus.
Temporäre Bündnisse mit dem Liberalismus zur Abwehr des Faschismus – das ist eine zentrale Folgerung Masons aus der Geschichte. Dem Antirationalismus von rechts müsse die Linke mit dem Beharren auf Aufklärung und Rationalität begegnen.
Masons Buch ist eine faszinierende und anregende Lektüre; und der Autor eröffnet zahlreiche neue Blicke auf eine linke Faschismusanalyse. Auch wenn sein eigener Faschismusbegriff (»Furcht vor der Freiheit, geweckt durch eine Ahnung von Freiheit«) verkürzt ist und die Appelle für eine wehrhafte Demokratie vor dem deutschen Hintergrund falsch klingen, sollte das Buch Pflichtlektüre für alle sein, die sich wie Mason als linke Antifaschist*innen verstehen.
Paul Mason: Faschismus und wie man ihn stoppt. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2022. 443 Seiten, 20 EUR.