Die Schönheit des Synchronsprints
Laufen ist oft einsam – in der Para Leichtathletik aber gibt es eine Alternative
Von Nelli Tügel
Landläufig gilt: Laufen ist ein technisch einfacher und menschlich einsamer, vielleicht der einsamste Sport. In dem Filmklassiker »The Loneliness of the Long Distance Runner« steht das Laufen des vom Leben gebeutelten Colin, der im Jugendknast sitzt, für dessen autonom errungene Selbstbehauptung. Marathonläufer*innen führen mitunter Selbstgespräche, um sich bei der Stange zu halten. Und die Kurzstrecken gelten als die Einzelkämpfer*innendisziplinen schlechthin: Hier ist der Mensch ganz bei »sich selbst«; jede*r gegen jede*n.
Die Para Leichtathletik, die gerade durch die Paralympics in Paris wieder einmal in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit geraten ist, zeigt: So muss es nicht sein. Blinde und sehbehinderte Läufer*innen betreiben ihren Sport gemeinsam mit einem*einer (manchmal auch mehreren) Running Guide(s). Verbunden mit einem kurzen Band legen sie, im übrigen oft auch gemischtgechlechtlich, die Laufstrecke, vom 100 Meter Sprint bis zum Marathon, im Team zurück. Es ist ein wunderschöner und überdies sportlich höchst beeindruckender Gegenentwurf zum ultraindividualistischen Hochleistungssprint der Olympischen Spiele. Zu Ausdauer, Kraft oder Schnelligkeit kommt hier noch die perfekt aufeinander abgestimmte Synchronität hinzu.
Reißt das Band, ist dies ein Disqualifizierungsgrund. Geschehen ist dies in Paris mehrmals: Jaryd Clifford aus Australien, der mit zwei sich abwechselnden Guides lief, verlor aus diesem Grund die Bronzemedaille über 5000 Meter in der Kategorie T13. Und beim Marathonwettbewerb in der Kategorie T12 geriet der Guide der spanischen Läuferin Elena Congost kurz vor dem Ziel in Taumeln, das Band löste sich für wenige Sekunden, woraufhin die beiden disqualifiziert wurden – bis dahin hatten sie auf Platz drei gelegen. Tragisch. Doch immerhin: Sie können gemeinsam trauern. Denn ihr Sport ist nicht einsam.