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|ak 695 | Alltag |Kolumne: Jawoll, euer Ehren

Nudelfrischeilegegegacker

Von Moritz Assall

Ein großer Holzhammer fällt auf ein ein in einem Eierbecher
Wird ein Frischei in einer Werbung assoziiert oder nicht? Muss auch mal ein Gericht feststellen. Foto: Stevepb / Pixabay

Was wirklich sehr seltsam ist im Kapitalismus, ist die Bedeutung menschlicher Bedürfnisse. Einerseits ist es ein Wirtschaftssystem, das gerade nicht unmittelbar an der Erfüllung von Bedürfnissen ausgerichtet ist, sondern an der Realisierung von Profit. Tauschwert geht über Gebrauchswert, Kapitalverwertung schlägt Bedürfnis. Andererseits sind alle über Marktverhältnisse miteinander verwoben, also zumindest mittelbar doch darauf angewiesen, echte oder vermeintliche Bedürfnisse der anderen zu erfüllen, damit es zum Austauschverhältnis kommt. Schon Marx stellte fest, dass es dabei letztlich nicht nur um das Stillen, sondern vor allem auch um das Wecken von Bedürfnissen geht: »Jedes Produkt ist ein Köder, womit man das Wesen des andern, sein Geld, an sich locken will, jedes wirkliche oder mögliche Bedürfnis ist eine Schwachheit, die die Fliege an die Leimstange heranführen wird.«

Darum ist unsere Welt voller Reklame und es wird mit allen Mitteln geworben – manchmal auch über die Grenzen des juristisch Erlaubten hinweg. So geschehen im schon etwas älteren, aber irgendwie zeitlosen »Gackerurteil« des Bundesgerichtshofs. Anfang der 1960er Jahre hatte ein Nudelhersteller im Radio Werbung für Nudeln geschaltet. Ein Konkurrent brachte ihn daraufhin vor Gericht, weil durch das in der Werbung »verwendete Hühnergegacker der unzutreffende Eindruck erweckt werde, die angepriesenen gewöhnlichen Eierteigwaren seien aus Frischei hergestellt«. Tatsächlich war in den Nudeln aber nur das billigere Trockenei.

Wer denkt an was, wenn Hühner gackern? Zur Klärung dieser kniffligen juristischen Frage prüften die Gerichte laut Urteil zunächst, »ob die Verwendung von Hühnergegacker schlechthin, d.h. in jeder möglichen lautlichen Gestaltung bei Hörern der Werbesendungen (…) die Vorstellung auslöst, es seien bei der Herstellung der Teigwaren Frischeier verwendet worden.« Wer aber kann beurteilen, bei welchem Gegacker die Menschen vorm Radio an was denken? Das Gericht schrieb dazu, Eier und Nudeln würden von Hausfrauen gekauft. Entsprechend sei deren Vorstellung beim Hören der Werbung entscheidend. Aber kein Problem: Zwar handele es sich bei Eiern und Nudeln um »meist von der Hausfrau gekaufte«, nicht aber »etwa um einen auf die besonderen Bedürfnisse und Wünsche von Frauen ausgerichteten Spezialartikel«. Die Herren vom Gericht könnten also aus Einfühlungsvermögen und eigenem Sachverstand das Gackern und die damit verbundenen Assoziationen beurteilen.

Als das geklärt war, wendete man sich in der juristischen Prüfung dem Gackern selbst zu. Dabei differenzierten die Richter nach der Art des Gackerns, denn schließlich sei der gemeinen Hausfrau bekannt, dass »Hühner nach dem Legen eines Eies in besonders charakteristischer Weise gackerten (›Legegegacker‹). Ein solches Gegacker komme vor allem im betonten Hervorheben eines der ersten Gackertöne zum Ausdruck.« Wenn es sich also in der Werbung um »Legegegacker« handeln würde, dann könnte ja tatsächlich bei den Menschen die Assoziation zu Frischei entstehen – bei schnödem »Konversationgegacker« denke mensch hingegen statt an Frischei eher nur an Hühner im Allgemeinen, dann wäre also juristisch wahrscheinlich alles in Ordnung. Die Spannung stieg – und tatsächlich: Nachdem in der Gerichtsverhandlung die Aufnahmen des in der Werbung verwendeten Gegackers abgespielt wurden, stellte das Gericht fest, dass »der für ein ›Legegegacker‹ typische Tonfall in den Werbesendungen (…) aufgeklungen ist«, klar zu erkennen an »seiner charakteristischen (›triumphierenden – verkündenden‹) Form, das die Aufmerksamkeit stark auf sich ziehe«. Juristisch war somit belegt: Die Werbung war unzulässig, denn »das Gegacker der Henne (bringt) die Gedankenverbindung zum soeben gelegten Ei, d.h. zum Frischei mit sich.« Über solche Gedankenverbindungen schrieb Herbert Marcuse in »Der eindimensionale Mensch«, Werbung würde manipulieren, sich »im Einklang mit der Reklame zu entspannen, zu vergnügen, zu benehmen und zu konsumieren, zu hassen und zu lieben, was andere hassen und lieben«. Mag sein. Aber nur bei Konversationsgegacker.

Moritz Assall

ist Jurist und Kriminalsoziologe. Er arbeitet für die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft.