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Notenbanken

Aufgeblättert: »Zentralbankkapitalismus. Transformationen des globalen Finanzsystems in Krisenzeiten«, von Josha Wullweber

Von Guido Speckmann

Bindestrich-Kapitalismen gibt es bereits mehrere. Beispiele wären Finanzmarkt-, Überwachungs- oder Plattformkapitalismus. Joscha Wullweber macht nun einen weiteren Vorschlag: Zentralbankkapitalismus. Seine Ausgangsthese lautet: Das globale Finanzsystem und der heutige Kapitalismus westlicher Industriestaaten können »ohne die permanenten, hochgradig unkonventionellen, umfangreichen und in mancher Hinsicht sehr extremen Interventionen« der Notenbanken nicht mehr funktionieren. Ohne diese wäre der Crash unvermeidlich. Konträr zu vorherrschenden Interpretationen deutet Wullweber die massiven Interventionen der Notenbanken aber nicht als Rückkehr eines Staates, der die Marktkräfte einhegt. Vielmehr zeigt er, dass der vermeintlich freie Finanzmarkt nicht ohne staatliches Handeln hätte entstehen können. Auch gegenwärtig sorgt der Staat dafür, dass der Schattenbanksektor – das Idealbild eines freien Marktes – einen Rettungsanker hat: Er wird mit Zentralbankgeld versorgt. Dem Schattenbanken-Sektor räumt der Autor viel Raum ein, weil er im Zentrum der Krise von 2008 stand. Danach hat er sogar noch an Bedeutung gewonnen. Wullweber argumentiert überzeugend, dass die stabilisierende Geldpolitik der Zentralbank zugleich eine destabilisierende Wirkung entfaltet. Sein Buch, eine überarbeitete Habilitationsschrift, ist trotz der schwierigen Materie gut lesbar. Für das Verständnis des heutigen Kapitalismus ein wichtiger Beitrag.

Joscha Wullweber: Zentralbankkapitalismus. Transformationen des globalen Finanzsystems in Krisenzeiten. Suhrkamp, Berlin 2021. 297 Seiten, 20 EUR.