Squid Game: Ein Mann tut das absolute Minimum
Von Jessie Cato
Seit dem Film »Hunger Games«, wo Spieler*innen zur Belustigung reicher Leute auf Leben und Tod kämpfen müssen, ist die Welt nicht mehr so fasziniert von dieser Art Erzählung gewesen. Davor galt die Aufmerksamkeit dem japanischen Filmklassiker Battle Royale, wo zur Abwechslung Schüler*innen zur Belustigung reicher Leute auf Leben und Tod kämpfen (beziehungsweise als Strafe). Und jetzt kommt die Serie »Squid Game«. Das Konzept: 456 hochverschuldete Menschen treten in über sechs Runden gegeneinander an, um den großen Preis zu gewinnen: einen riesigen Geldtopf, der über ihren Köpfen hängt. Wie bei den Vorgängerfilmen überlebt nur ein Mensch – the winner takes it all!
Einige Kommentator*innen sagen, es ist der Kapitalismus, der das Spiel gewinnt. Die globale Faszination für die Serie entstehe dadurch, dass sie mit den Ängsten der Menschen im gegenwärtigen spätkapitalistischen Albtraum spielt. Die Erzählung wird einerseits durch eine systemische Linse als Kritik an Privatverschuldungen gerahmt, ohne jedoch wirklich tief zu gehen (was die Serie auch nicht hergibt). Kritiken in bürgerlichen Medien framen das Problem hingegen als Ausdruck schlechter, individueller Lebensentscheidungen – nix mit Systemkritik. So oder so: Der Kapitalismus kommt in der Serie unversehrt davon, welche politische Haltung die Macher*innen in Bezug auf das Thema nun wirklich haben mögen. Aber wer gewinnt?
Beim Thema Stereotypen beantwortet die Serie die Frage, wer gewinnt auf jeden Fall deutlicher. Warum ist eigentlich immer noch nicht möglich, eine Dystopie-Serie zu produzieren, ohne sie mit krassen Klischees vollzustopfen? In der deprimierenden Höllenlandschaft scheint der einzige Trost in den Freundschaften zu liegen, die der geliebte Protagonist auf seinem Weg schließt, bevor er mit ihnen unweigerlich bis zum Tod kämpft. Seine Freund*innen sind allesamt wandelnde Klischees: Oh hi, Alibi-Einwanderer und Alibi-Opa! Schau, die Alibi-Frau!
Jenseits des bunten Kapitalismus in zuckersüßen Farben taucht eine weitere stereotype Figur auf: der Mann, der nur das absolute Minimum tut und trotzdem der Held ist. Für seinen miesen Umgang mit den weiblichen Charakteren der Serie erhält besagter Protagonist in einer einzigen Szene die totale Absolution.
So ist er kurz davor, endlich zu seiner Tochter zurückzukehren und Verantwortung zu übernehmen, entscheidet sich dann aber, in das nächste heroische Abenteuer zu starten. Das spielt aber keine Rolle – war er doch in der vorangegangenen Folge sehr nett zu einer Frau, als sie starb. Ist er ein Arsch, weil er das Geburtstagsgeld seiner Tochter verspielt hat, das er zuvor seiner mittellosen und kranken Mutter gestohlen hatte, wenn er in einer späteren Folge wirklich nett zu einer Frau ist, die gerade stirbt? Spielt es eine Rolle, dass sich eine ganze Folge darum dreht, dass Männer sich weigern, Frauen in ihre Teams aufzunehmen, weil sie »schwach« sind und unser Protagonist in einer späteren Folge diesem Druck nachgibt und sich weigert, sich mit einer Frau zusammen zu tun, wenn er doch später wirklich nett zu ihr ist, als sie stirbt? Ist es schlimm, dass er schweigt, als ein anderer Mann eine Frau zu Boden wirft, nachdem er sie aus seinem Team ausgeschlossen hat, und sie verflucht, wenn – und das kann nicht oft genug gesagt werden – es eine Szene gibt, in der er wirklich nett zu einer Frau ist, während sie stirbt? Wirklich, was wollen wir noch von diesem Mann? Wie soll er um sein Leben kämpfen, ohne das Patriarchat aufrechtzuerhalten? Unmöglich. Er tut immerhin das absolute Minimum, mehr als genug. Und das ist der Held, den unsere Welt gerne belohnt. Fazit: nur ein Stern.