Nicht-weiße Karen
Von Jacinta Nandi

Einer meiner besten Kumpels in Berlin ist Oliver, er kommt aus Braunschweig und wohnt seit den 90ern in Berlin. Er ist ein echter Sozialist, und ich bin eine nicht-weiße Karen. Das bedeutet: Er findet es gut, wenn die Menschen, die in Bäckereien oder ähnlichem arbeiten, mit dir reden, als ob sie Gefängniswärter*innen seien, und ich nicht.
»Ich habe die Frau aus dem Postamt nebenan verpetzt«, sage ich ihm. »WAS?«, ruft er, wirklich geschockt. »Ja«, sage ich. »Ich habe sie an den Customer Service verpetzt, weil sie so unprofessionell und unhöflich gewesen ist.« »WAS?«, ruft er, noch geschockter. »Ja«, sage ich. »Manchmal bist du so eine schlechte Sozialistin. Was, wenn sie eine Mahnung bekommt? Weil du sie verpetzt hast. Hast du kein schlechtes Gewissen?« »Ich bin eine nicht-weiße Karen«, sage ich.
Es gibt absolut keinen Arbeiterklassenstolz in Deutschland, außer, es geht um das Recht von Servicemitarbeiter*innen, ihre Kund*innen anzubellen, als seien sie Dreck. Hier ist das, was im Postamt passiert ist: Ich hatte einen Brief geschrieben und in einen Umschlag getan. Ich hatte den Umschlag angeleckt, um diesen Klebstoff zu aktivieren und den Brief zu versiegeln, und dann die Adresse drauf zu schreiben. Ich schrieb die Adresse auf den Umschlag und ging dann ins Postamt. Als ich an der Theke war, merkte ich, dass der Klebstoff nicht funktioniert hatte, vielleicht war der Umschlag alt. Ich fragte sehr höflich, ob die Mitarbeiterin das mit Tesa fest machen könnte.
»Nein!«, bellte sie. »In Deutschland bereitet man seine Briefe zuhause vor.« Ich starrte sie an. Man ist einiges gewohnt, wenn man länger hier wohnt, und mit weißem Servicepersonal sprechen muss. Ich finde, dass der Begriff »Servicewüste Deutschland« nicht wirklich erklärt, wie unfreundlich und unmenschlich weiße Menschen in Läden mit dir sprechen. Manchmal vergisst man, dass es nicht eine totale Unterdrückung oder Erniedrigung ist, wenn man in eine Bäckerei geht, um einen Kaffee und ein Doughnut zu kaufen. Man ist daran gewöhnt, das Gefühl zu haben, dass der Mensch, der dir gegenübersteht, dich wirklich hasst, mit jeder Zelle seines Körpers. Jedoch war ich hier etwas irritiert.
Es gibt absolut keinen Arbeiterklassenstolz in Deutschland, außer, es geht um das Recht von Servicemitarbeiter*innen, ihre Kund*innen anzubellen, als seien sie Dreck.
»Ich habe ihn zuhause vorbereitet?«, sagte ich. »Aber er hat sich wieder geöffnet.« »Das ist nicht mein Problem«, sagte sie. »Sie wollen das nicht mit Tesa kurz zusammen machen?« Schnauben. »Dieser Tesafilm gehört unserer Postfiliale. Sie gehen jetzt nach Hause und bereiten ihre Briefe dort vor, so wie alle anderen Menschen in Deutschland!«, bellte sie.
Ich habe nur gelacht, ich war nur am Lachen. Ich verließ meinen Platz an der Theke, ging zu dem Tesafilm im Ladenbereich, zurück in die Schlange, kaufte den Tesafilm, klebte den Briefumschlag zu und schickte den Brief ab. Die ganze Zeit habe ich dabei gelacht, weil es so albern war. Danach bin ich nach Hause gegangen und habe eine Mail an den Customer Service geschrieben. Das nächste Mal, als ich in der Filiale war, haben mich alle behandelt, als sei ich eine weiße deutsche Kundin – also nicht freundlich, aber auch nicht unhöflich. Ich wusste, dass sie alle wussten, dass ich es gewesen sein musste, die gepetzt hatte.
Vielleicht bin ich wirklich eine schlechte Sozialistin, aber ich verstehe nicht, warum es die Arbeit der Arbeiter*innenklasse bei Rossmann und Edeka und Aldi (in meiner Kindheit in den 80ern in Ostlondon waren solche Jobs gar nicht Arbeiter*innenklasse?) leichter macht, wenn sie die Kund*innen anschreien und anpöbeln und generell so behandeln wie Dreck? Das erhöht doch den Cortisolspiegel? Aber okay, ich sehe es ein: In Deutschland ist es sehr wichtig, das zu schützen. Wie ein Landesdenkmal muss das Recht des Servicepersonals, schlechte Laune und keine Manieren zu haben, beschützt werden.
Es gibt noch zwei Sachen, die ich nicht verstehe: Wenn es so eine Zumutung ist, zu erwarten, dass die Menschen in den Läden freundlich und kompetent ihre Arbeit machen, warum ersetzen wir sie nicht durch Selbstbedienungskassen? Wir wohnen in dem einzigen Land der Welt, in dem die Selbstbedienungskassen viel freundlicher und menschlicher und netter zu dir sind als das Personal – aber angeblich ist es auch wieder schlechter Sozialismus, diese Jobs abschaffen zu wollen?
Und die andere Sache, die ich nie verstehen kann: Können weiße Menschen in diesem kalten rassistischen Land, Menschen wie Oliver, nicht verstehen, dass es etwas anderes ist, wenn weiße Menschen so unfreundlich sind zu nicht-weißen, eventuell nicht-deutschen Menschen? Wir wohnen in einem Land, in dem Busfahrer Frauen mit Kopftuch anbrüllen, in dem Polizist*innen schwarze Männer totprügeln, in dem nicht-weiße Personen immer länger warten müssen in Schlangen. In dem wir eigentlich immer wie Bürger*innen zweiter Klasse behandelt werden? Könnte die nicht-rassistische weiße Arbeiter*innenklasse nur weiße Kund*innen anschreien, anpöbeln, erniedrigen, so dass wir Nicht-Weißen, wenn wir doch wie Dreck behandelt werden, wissen, dass es purer Rassismus ist und nicht nur Arbeiter*innenklassenstolz? Aber wahrscheinlich würde das zu viel Mitgefühl und Solidarität erfordern, um jemals in Deutschland passieren zu können.