Ah, ja, genau das!
Das deutsche Feuilleton verehrt Michel Houellebecq als genialen Versteher und Hellseher – vielleicht, weil es selbst so wenig checkt
Von Nelli Tügel
Ich lese Michel Houellebecq nicht. Er ist ein nationalistischer, rassistischer, frauenfeindlicher, homophober Ideologe. Er ist ein Faschist.« Dies gab der französische Soziologe Didier Eribon vor einigen Monaten in einem Interview dem Spiegel zu Protokoll und damit wäre eigentlich schon alles gesagt. Wäre – wäre da nicht das deutsche Feuilleton, das Houellebecq so dermaßen liebt, dass Neuerscheinungen inzwischen zeitgleich mit den französischen Originalen auf den deutschen Buchmarkt geworfen werden. Wäre – wäre da nicht gerade wieder einmal ein Roman aus der Feder dieses ekligen Reaktionärs erschienen. Ein Roman, der sein letzter sein könnte, zumindest wenn man der darin abgedruckten Danksagung Glauben schenken möchte. Zweifel sind allerdings angebracht, denn die Andeutung könnte auch schnöde Vermarktungstaktik sein. Diese nämlich hat Houellebecq über die Jahre perfektioniert. Nein, er ist weder ein »Seher« (NZZ) noch hat er »wie kein anderer seit mehr als zwei Jahrzehnten die Gegenwart und Zukunft unserer Zivilisation, ja der menschlichen Existenz hellsichtig seziert« (DLF). Aber eines muss man Houellebecq wirklich lassen: Das Buch- und Kulturjournalismusbusiness hat er durchdrungen – wie kein anderer, um es in der Sprache eines erregten Feuilletonisten zu formulieren.
Das ließ sich bei der Ankündigung von »Vernichten« (so heißt der neue Roman) einmal mehr beobachten. Die inzwischen routinierte houellebecqeske Masche funktioniert so: Eine Neuerscheinung wird nicht einfach mitgeteilt, denn der Kult verlangt, dass kurz zuvor schon die angebliche Provokation, die Hellsichtigkeit, der Skandal marketingtauglich antizipiert werden. Diesmal teilten seine Verlage – offenbar mangels inhaltlichen Bezugs auf aktuelle Ereignisse, der sich ausschlachten ließ – das Erscheinen äußerst kurzfristig mit, erst zum Jahreswechsel. Ganz so, als sei ihrem Starautor spontan ein 700-seitiges Meisterwerk in den Sinn gekommen, das er nun mit der Welt teilen wolle. Und die Andeutung, er könne das Schreiben an den Nagel hängen, besorgt den Rest. Bei »Serotonin« (2019) hatte man im Vorfeld das Gerücht in Umlauf bringen lassen, Houellebecq habe die Gilets Jaunes, die damals Frankreich in Atem hielten, »vorhergesehen«. Die Vorhersage stellte sich als kurze Szene im Buch heraus, in der es um empörte, sich abgehängt fühlende und radikalisierte Bauern geht – recht weit weg von der sozialen Zusammensetzung und den Anliegen der Gilets Jaunes, dafür nah dran an Bäuer*innenprotesten, die in Frankreich nun wirklich nichts Unbekanntes sind.
Langweilig wie das »Streit«-Ressort der Zeit.
Sein Orakel-Image hat er schon länger: Seit die Veröffentlichung zweier Romane (»Plattform« 2001 und »Unterwerfung« 2015) in zeitliche Nähe zu Ereignissen (dem Terroranschlag vom 11. September und dem Überfall auf die Redaktion von Charlie Hebdo) fiel, die mit Themen in seinen Büchern (Terror und Islamismus) verwandt waren, gilt Houellebecq als »genial«. Dass 2001 einfach Zufall gewesen sein könnte und es 2015 wahrlich keinerlei seherische Fähigkeiten benötigte, um Islamismus als das Thema der Stunde zu erkennen, trübt den Erfolg nicht. Lieber möchte man in den Redaktionsstuben an den visionären Houellebecq glauben wie andere an Horoskope, die im übrigen ähnlich funktionieren: Beim Schreiben Offensichtliches aufgreifen, dabei aber maximal unspezifisch bleiben, so dass der Leser denkt »Ah, ja, genau das!«
Das Bedürfnis, sich die verwirrende Welt auf die einfachste, also die konservative, Weise erklären und sich zugleich reaktionäre Bedürfnisse befriedigen zu lassen (in Feuilletonsprache werden Misogynie, Rassismus und schlichte Einfallslosigkeit so zu »Provokation«), garniert mit etwas Hokuspokus, bindet Fans und Literaturkritiker*innen gleichermaßen an ihren Houellebecq. Dabei ist dessen Werk so langweilig wie das »Streit«-Ressort der Zeit: More of the same, immer und immer wieder die gleiche öde Mischung aus Männlichkeitskrise, essentialistischem Menschenbild und Reaktion, ohne jede Originalität oder doppelten Boden. Eribon hat schon Recht mit seinem Urteil, dem er im übrigen noch diese Wahrheit hinzusetzte: »Und, ich möchte hinzufügen, soweit ich das sehe, ist er ein unglaublich schlechter Schreiber.« Ich werde es ihm ab jetzt gleichtun – und Houellebecq einfach nicht mehr lesen.