Gatekeeper der Glitzerwelt
#Metoo ist in der österreichischen Filmszene angekommen, die Widerstände gegen Aufklärung und Veränderungen sind altbekannt
Mitte Juni postet die österreichische Regisseurin und Drehbuchautorin Katharina Mückstein eine Story auf Instagram: »Heute Abend wird ein Täter auf der Bühne stehen und bejubelt werden. Und es gibt nichts, was wir dem entgegensetzen können. Es ist niederschmetternd. Ich wünsche allen Betroffenen gute Nerven. In Österreich hat #Metoo nicht einmal begonnen.« Namen und Titel werden keine genannt, an jenem Tag findet in Österreich jedoch lediglich eine heimische Kinopremiere statt: Marie Kreutzers Sissi-Neuauflage »Corsage«. Kurz darauf überschlagen sich die Repostings und Reaktionen. Bestandsaufnahmen über Sexismus, Rassismus, Homo- und Transphobie in der Branche sowie eigene Erfahrungsberichte treffen bei Katharina Mückstein ein, die diese Geschichten neben ihrer eigenen anonymisiert teilt.
Bis heute sind sie auf ihrem Profil aufrufbar. Von Übergriffen am Set, im Theater und in der Ausbildung, etwa an der Wiener Filmakademie, ist in unzähligen Berichten die Rede. Im Laufe der kommenden Tage erscheinen in Zeitungen und im Radio Beiträge mit Katharina Mückstein, das Thema nimmt Fahrt auf in der medialen Öffentlichkeit und inmitten der spürbaren Erschütterung drängt sich die Frage auf: Ist dies der Anfang einer Bewegung, die ein strukturelles Problem offenlegt und langfristig etwas verändern kann. Oder wird der Kampf gegen Sexismus, dem sich Gatekeeper der schillernden Filmbranche gekonnt entgegenstellen, von diesen elegant wieder unter den (roten) Teppich gekehrt?
Während in der österreichischen Filmszene jede*r zu wissen scheint, um welche(n) Täter es sich handelt, wirkt die Premiere des Sissi-Films in München völlig abgeschirmt von diesen Ereignissen. Instagram-Stories von »Corsage«-Teammitgliedern zeigen zufriedene Gesichter in feierlichen Roben. Regisseurin Kreutzer erklärt gegenüber der Zeitung Profil, dass sie, solange es nur Gerüchte und keine gerichtlich bestätigten Beweise gäbe, für sich keine Konsequenzen ziehe, indem sie beschuldigte Mitarbeiter*innen aus ihrem Team abziehe. Das überlasse sie lieber dem Gericht. Dass der Rechtsstaat in diesen Belangen aber zeitweise versagt oder diese zu sehr vertagt, zeigt der #Metoo-Fall um den deutschen Regisseur Dieter Wedel, der erst kürzlich vor einem Urteil 82-jährig starb. Mehrere Schauspielerinnen hatten ihn wegen sexuellen Missbrauchs oder Vergewaltigung angeklagt, Wedel hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen.
Wiener Comfortzonen
In der österreichischen Branche wird aktuell ein ähnlicher Fall diskutiert, der einen bereits verstorbenen Täter betrifft: der langjährige Institutsleiter der Filmakademie Wien, Peter A. Mayer. Weitere Fälle werden seitdem zwar diskutiert, viele werden jedoch anonymisiert berichtet, zu weiteren Anklagen kam es bisher nicht. Vor Mücksteins Engagement gingen im Jahr 2017 die wohl lautesten Äußerungen in Bezug auf #Metoo von der Schauspielerin Nina Proll aus. Mehrere Medien zitierten damals ihre Aussage von einem »kollektiven Jammern«, das sie satthabe und gaben ihrer genervten #Metoo-Bilanz eine breite Bühne.
Österreichische Filmgrößen, die sich ansonsten in jeglichen Belangen als starke Feministinnen äußerten, schwiegen auf einmal.
#Metoo und Sexismus als übertrieben darzustellen ist auch, so beweist nicht nur das Beispiel Proll, ein beliebtes Mittel, um sich als Kollaborateur*in struktureller Ungleichheit bei jenen beliebt zu machen, die die Zügel in der Hand halten. »Was ist dein Feminismus wert, wenn er am Rande deiner Comfortzone endet«, schreibt Mückstein mit Blick auf die Gründe, weswegen viele Betroffene sich nicht offen gegen Täter aussprechen wollen. In einer kleinen Szenelandschaft schwebt, beginnt man sich aktivistisch zu engagieren, stets die Gefahr der beruflichen Exklusion über eine*r/m. Als Frau gilt man zudem schnell als kompliziert oder humorlos, lacht man nicht mit den Kollegen über #Metoo – trotz etlicher offenkundiger Fälle von sexuellen Übergriffen und Belästigung in der Filmbranche. »Ja, es handelt sich um Männer, mit denen wir bekannt oder befreundet sind, mit denen wir unter Umständen super zusammengearbeitet haben – das macht alles schwieriger, als wenn es in Hollywood passiert«, postete Mückstein. Ihre Bemerkung wurde gewissermaßen zu einer Prophezeiung der folgenden Wochen, in denen sich österreichische Filmgrößen, die sich ansonsten in jeglichen Belangen als starke Feministinnen äußerten, auf einmal schwiegen und damit ihren Platz in jener Liga sicherten, die bei der jährlichen Filmpreis-Gala ihre Sternstunden erlebt. Der Vorschlag Mücksteins, bei der Verleihung des österreichischen Filmpreises Ende Juni eine Rede zu halten, wurde von der Akademie des Österreichischen Films abgelehnt, da sie selbst kein Mitglied sei – stattdessen entschloss man sich zu einem allgemeinen Statement gegen Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe.
Lernvideo gegen Sexismus
Der Regieverband, die Interessenvertretung österreichischer Regisseur*innen, forderte angesichts der Ereignisse die Einführung eines Trainingsvideos als verpflichtende Präventionsmaßnahme vor einem Arbeitsantritt am Set. Ob sich ein Lernvideo eignet, über Jahrzehnte gefestigte strukturelle Machtstrukturen in der Filmszene aufzubrechen, bleibt mehr als fraglich. Eine verpflichtende Quotenregelung bei der Fördermittelvergabe hingegen könnte in der Branche für veränderte Arbeitsbedingungen und Machtverschiebungen zugunsten nicht-männlicher Regisseur*innen und Produzent*innen sorgen. Doch erst letzten Oktober sprach sich der Regieverband gegen die Forderung aus und sorgte somit für die Abspaltung von 42 weiblichen Regisseurinnen, die seitdem als die Regisseur*innen für mehr Sichtbarkeit und gegen Sexismus kämpfen. Mehr FLINT-Personen (Frauen, Lesben, Inter-, Non-Binäre und Trans-Personen) hinter der Kamera, mehr Personen of Color und mit migrantischen Erfahrungen erweitern Erzählperspektiven und können dazu beitragen, die ewige Dominanz patriarchaler Narrative auch vor der Kamera aufzubrechen.
Arbeitsbedingungen müssen verändert, Opfer unterstützt und Täter zur Rechenschaft gezogen werden, darin scheinen sich alle Institutionen und deren Vertreter*innen nach Außen hin einig zu sein. Die Anlaufstelle #we_do! versucht, als Beratung für Personen zu fungieren, die negative Konsequenzen im Falle einer Meldung von Missbrauch befürchten, daneben sind ab Herbst eine neue Beratungsstelle sowie Veranstaltungen zum Thema geplant.
Neben der unbedingt notwendigen Beratung und Unterstützung von Opfern sexueller Gewalt und Belästigung, braucht es jedoch auch eine Debatte darum, wie Täter*innen gestoppt werden können, bevor es überhaupt zu Übergriffen kommt. Mücksteins Postings setzen hier eine Form von Aktivismus in Gang, die nie von Institutionen ausgeht und überhaupt erst dafür sorgt, dass für diese ein Handlungsdruck entsteht.
Außerdem stärken Aktivismus und Debatten jenen betroffenen Personen den Rücken, die bislang sprachlos blieben. Bewegungen wie #Metoo nennen nicht nur Täter beim Namen, sondern auch die Bedingungen unter denen solche Übergriffe – meist konsequenzlos – möglich sind und die in der öffentlich-medialen Wahrnehmung der schillernden Filmbranche immer noch stark unterbelichtet sind. Dass Übergriffe dennoch von vielen nicht ernst genommen werden, zeugt davon, wie lang und steinig der Weg noch ist. Mücksteins Aktion ließ im Moment des Bruchs mit dem eingeübten Schweigen Solidarität entstehen und erkennen, wie wichtig der Austausch untereinander ist, um der im Patriarchat erlernten Toleranz diskriminierenden Verhaltens den Riegel vorzuschieben – und das betrifft jede Branche.