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|ak 663 | Alltag

Memes als Verdrängungshilfe

Auf Facebook tummelt sich eine ehemals linke Blase, die Memes der Alt-Right-nahen Plattform 4chan verwurstet

Von Veronika Kracher

Wenn man sich dem eigenen Linkssein nur noch mit zynischer Distanz nähern kann. Foto: Montecruz Foto / Wikimedia, CC BY-SA 2.0

Ich bin damals in die radikale Linke hineingeraten, weil ich verzweifelt war. Mir waren die kapitalistischen Verhältnisse, und die Gewalt, die sie Menschen zufügten, die sich Menschen in und aufgrund der Verhältnisse zufügten, unerträglich. Die herrschenden Umstände durchschaut zu haben, ging für mich mit einem Schlag in die Magengrube einher: Überall erkennt man plötzlich Entfremdung, Ausbeutung, Verrohung, Unterdrückung. Ich entwickelte einen schwer aushaltbaren Weltschmerz, dem ich hoffte mittels politischer Arbeit beizukommen. Für mich war die Auseinandersetzung mit Leid immer integraler Bestandteil antifaschistischer und antikapitalistischer Politik; schließlich war es jenes Leid, welches das Streben für die befreite Gesellschaft zu beenden gedachte (Zart wäre einzig das Gröbste: dass keiner mehr hungern soll).

Nun ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leid, als auch dem anderer, psychisch recht anstrengend und zermürbend. Es ist nicht verwunderlich, dass politische Aktivist*innen oftmals mit psychischen Krankheiten zu kämpfen haben; und es ist zwingend notwendig, einen vernünftigen Umgang mit den psychischen Auswirkungen des eigenen Aktivismus zu finden.

Was zunehmend auffällt ist, dass sich vor allem jüngere Männer innerhalb der linken und postlinks-antideutschen Szene sich dem Leid anderer jedoch nur noch in Form einer zynischen Distanz nähern können, und das eigene selbst kaum noch zulassen mögen. Wer einen Blick auf aktuelle linke Meme-Seiten (1) wirft, wird mit einer Bildsprache konfrontiert, die direkt aus dem Imageboard 4chan stammt, das sich innerhalb der letzten Jahre zu einem wichtigen Forum für die Alt-Right entwickelt hat. Zum einen werden konkret Memes und Meme-Vorlagen verwendet, die auf 4chan ihren Ursprung fanden. Populär ist zum Beispiel ein Meme, in dem die Figur des »Wojack«, einem frustrierten jungen Mann, der über einen Sachverhalt lamentiert, ihm gegenüber die Darstellung eines maskulinen, bärtigen »Chad«, also einer Verkörperung für hegemoniale Männlichkeit, der durch seine Aussagen die Position des »Wojack« als infantil und lächerlich entlarvt. Manchmal wird das Meme auch mit einer geschlechtsspezifischen Komponente verwendet, in der sich eine Frau und ein Chad gegenüberstehen; auch hier nimmt der Chad die souveräne und überlegene Stellung ein.

Dass Memes ihren ursprünglichen Sinngehalt hinter sich lassen, ist ihnen immanent, und es war abzusehen, dass die im eher rechten oder libertären 4chan-Kontext etablierten Memes auch innerhalb linker Strukturen verwendet werden. Dass jedoch oftmals entweder unbewusst oder bewusst deren (patriarchale, latent misogyne) Bildsprache reproduziert wird, bleibt unreflektiert.

Es sind nicht nur Memes, die aus dem 4chan-Kontext adaptiert werden, sondern auch der dort omnipräsente Habitus: Zynismus, Ironie, Emotionslosigkeit, Besserwisserei und das Verhöhnen von allem Unliebsamen als »cringy«. Das Verschanzen in dieser zynischen Online-Blase ist meines Erachtens nach ein Umgang mit dem Schmerz, den das Leben als Kommunist*in unweigerlich mit sich bringt: anstatt offen über sein Leid zu sprechen, wird es abgespalten. Es ist natürlich nicht verwunderlich, dass diese Blase aus 4chan-Linken primär männlich ist, denn in der männlichen Sozialisation ist das Zulassen von oder gar das Sprechen über Gefühle nicht vorgesehen.

Die Inszenierung als abgeklärter und abgestumpfter Postlinker, der es inzwischen besser weiß als die infantilen Antifa-Kids, ist wichtiger geworden als die Überwindung kapitalistischer Sachzwänge. Dies führt unweigerlich zu einer Verrohung auch im Privaten: der Umgang untereinander ist herablassend und belehrend, man verhält sich weniger wie ein solidarischer Genosse anstatt wie Klassenstreber und Schulhofbully in einem. Es ist nachvollziehbar, dass man Leiderfahrungen von sich abspaltet, aber es fördert eine Kultur von Chauvinismus und zwischenmenschlicher Kälte. Diese Männer schaffen es, mit ihrem Pseudowissen über kritische Theorie hausieren zu gehen, haben diese aber anscheinend niemals verstanden, sonst würden sie anders denken und handeln.

Veronika Kracher

arbeitet zum Verhältnis von Antisemitismus und Antifeminismus, zur Alt-Right, zu Online-Rechtsradikalismus und vor allem zur Incel-Community. Ihr Buch zu Incels erschien Ende September 2020 im Ventil-Verlag.

Anmerkung
1) Bei Memes handelt es sich um (vor allem) online verbreitete Manifestierungen eines Kulturphänomens – virale Bilder oder Videos sind Beispiele für Memes.