Komm bitte, Weihnachten
Von Kuku Schrapnell
Es ist vielleicht etwas unpopulär in linken Kreisen, aber ich liebe Weihnachten. Ich liebe Weihnachten so unfassbar, es ist schon fast unheimlich. Nur damit mich niemand falsch versteht: Jedes religiöse Gefühl geht mir total ab. Ich hab meinen Dienst an der katholischen Kirche als kleine Messdienerin getan und dabei jedes bisschen Spiritualität in mir aufgebracht.
Was ich an Weihnachten liebe, ist also vor allem die gnadenlos atheistische Überformung des Ganzen. Danke, Kapitalismus.
Es gibt nichts Schöneres, als im November in den ersten Lebkuchen zu beißen oder wieder Mon Chéris zu essen, Spekulatius aufs Brot zu legen, oder bei kalten Temperaturen wenigstens ein warmes Getränk mit anderen zu teilen. Aber am meisten liebe ich die Lichter. Während alles dunkel und kalt wird und ich am liebsten mit meiner Depression und Netflix allein wäre, sind es die Licher draußen, die mich immer wieder ein bisschen glücklich machen. Sei es ein Schwibbogen im Fenster oder eine Lichterkette im Baum. Das Ganze gipfelt darin, Sias Weihnachtsalbum zu hören oder »Love Actually« zu gucken.
Die einzige Sache, die wirklich nervt, ist weniger das Religiöse, sondern eben der nervige Teil mit der bürgerlichen Ideologie. Na danke, Kapitalismus. Da wäre zum Beispiel diese ganze Geschichte mit der Familie, vor allem der heteronormativen Kernfamilie, die altbekannte multiresistente Keimzelle der Gesellschaft. Kaum ein Bild wird häufiger bemüht zu den Festtagen als Vater, Mutter und Kinder vor dem geschmückten Weihnachtsbaum. Ab und zu auch noch irgendwelche Großeltern, aber mehr auch nicht.
Dabei zeigt ein Blick in die Geschichte, dass es diese Form des Festes noch gar nicht so lange gibt. Die kluge Feministin weiß natürlich, dass die Idee der Kleinfamilie erst im 19. Jahrhundert flächendeckend in Europa durchgesetzt wurde. Weihnachten gibt es ja nun aber schon ein bisschen länger. Schenken wir uns den Ausflug in die vorchristliche nordeuropäische Antike, als Leute sich auch schon dachten, eine Party in der Mitte des Winters mit Lichtern und viel Essen wäre eine gute Idee. Die christliche Geschichte allein ist schon spannend genug.
Weihnachten war ein vor allem bei den einfachen Leuten beliebtes Fest, das damals viel mehr mit Karneval zu tun hatte als mit bärtigen Geschenkebringern. Es wurde nicht in den eigenen vier Wänden gefeiert, sondern draußen in der Öffentlichkeit mit allen anderen. Die geltenden Hierarchien wurden für die Zeit der Feierlichkeiten auf den Kopf gestellt: Männer verkleideten sich als Frauen, Frauen als Männer, Kinder wurden zum Bischof ernannt, und einfache Bauern wurden zu Adligen. Dabei ging es aber nicht nur ums bloße Verkleiden und Mal-so-tun, sondern es wurde auch kräftig umverteilt. Die Menge stattete den Adligen einen Besuch ab und forderte Essen für ihre Party.
Aber auch die Moderne kannte noch ganz andere Weihnachtsfeste. Die neu entstandene Arbeiter*innenklasse brachte die lustigen alten Traditionen mit in die neue Gesellschaftsformation. Häufig wurden aus dem lustigen Karneval von früher aber eher Streiks und Riots. Wer könnte es ihnen verdenken?
Es ist dann aber auch nicht überraschend, dass alles daran gesetzt wurde, das Fest in sanftere Bahnen zu lenken. Ein paar besinnliche Gedichte, Geschichten, Märchen und Zeitungsartikel später, war der Mythos des modernen Weihnachtsfests geboren. Alle blieben brav zu Hause und die soziale Ordnung unangetastet.
Nachdem der größte Spaß also eh schon wegfiel, nämlich der herrschenden Klasse einen auf den Deckel zu geben und ein bisschen was von ihrem Reichtum abzugreifen, wurde es noch schlimmer. Aus dem schönen Umverteilungsgedanken wurde das heute bekannte Geschenkespiel, und so gibt es jedes Jahr die weihnachtliche Umsatzsteigerung, und verkleidet wird sich auch nur noch als alter Mann mit Rute, als gäbe es davon nicht eh schon genug.
Das besinnliche Weihnachten ist also keine 200 Jahre alt, gilt uns aber als Kern deutscher Kultur. Nicht umsonst regte sich mal ein Freund und Genosse darüber auf, dass er sich jedes Jahr vor seiner Politgruppe rechtfertigen muss, wenn er seine Eltern zum Zuckerfest besucht, während es völlig normal ist, wenn seine Genoss*innen ab dem 20. Dezember in Scharen die Stadt verlassen, um ins elterliche Einfamilienhaus zurückzukehren.
Ich bleibe also dabei und freue mich die verbleibenden Tage über die Lichter und Deko, trinke vielleicht einen Punsch oder Tee, während ich »Love Actually« gucke, und wer weiß, vielleicht findet sich ja die ein oder andere für ein bisschen weihnachtliche Umverteilung.