Komm bitte, Verlieben
Von Kuku Schrapnell
Ganz offensichtlich ist es draußen Frühling geworden, in meiner WG ist niemand mehr zu Hause. Das könnte daran liegen, dass das Wetter wirklich nicht dazu einlädt, drinnen rumzukrauchen, aber es könnte auch daran liegen, dass alle nur noch auf irgendwelchen Dates sind, und wer könnte es ihnen verübeln? Verlieben ist bekanntlich das Schönste, und Verlieben gehört auch irgendwie zum Frühling dazu, jedenfalls so lange hier noch die vier Jahreszeiten herrschen, wie wir sie kennen, bevor uns der Klimawandel und das Absterben des Golfstroms kanadische Zustände bescheren, die sich nur noch in Winter und beinahe Winter unterteilen lassen.
Verlieben unterscheidet sich auch ganz grundsätzlich vom Lieben, wie schon die Vorsilbe zeigt. Es rückt damit viel mehr in die Nähe von schönen Wörtern wie verwischen, vertun oder vergolden. Es wird nicht nur etwas ganz grundlegend verändert, es wird auch unwirklich, fast schon unfassbar. Es könnte sich alles als riesiger Irrtum herausstellen – oder die ganze Welt ein kleines bisschen schöner machen.
Wer verliebt ist, wird an denen, in die er verliebt ist, ein anderer Mensch. Klar, man ist immer eine andere, je nachdem, mit wem man gerade ist. Aber verliebt sein zupft an der Hülle, die alles zusammenhält, und schon verteilt man sich in die ganze Welt, wie ein sterbender Löwenzahn. Wer so verliebt ist, wird ganz weich und formlos und schön.
Eine Freundin hat mal gesagt, der Kommunismus ist wie verliebt sein ohne Angst. Auf Twitter hat sie später aber nur geschrieben, wer verliebt ist, streitet am schönsten. Das sind zwei schöne Sätze über den Kommunismus und das Streiten, aber sie werden dem Verliebtsein nicht gerecht. Verliebte sind nämlich viel zu dumm, um Angst zu haben, und das ist ein Geheimnis ihrer Schönheit. Allein die Scheidungsstatistiken sagen uns, dass aus dem Verliebtsein nicht unbedingt eine lebenslange Liebe werden muss. Wie oft wurde mir das Herz gebrochen? Wie oft stand ich meinen Liebsten bei, die das Ende ihrer Liebe betrauern mussten?
Aber sobald ich mich verliebe, weiß ich von all dem nichts mehr! Also, rein kognitiv natürlich schon. Dann werden Parallelen zu alten Liebschaften analysiert und mahnend der Finger gehoben, dass alles wieder im tausendsten Rewatch von »Club der Teufelinnen« und kiloweise Schokoladeneis münden könnte. Das passiert aber nur in kurzen Pausen, denn das Herz will weiterlieben und lässt sich von ein paar schlechten Erfahrungen doch nicht den Frühling versauen.
Darin liegt die eigentliche Ähnlichkeit von Verlieben und Kommunismus. Beide stellen die ganz naive Frage: Aber wäre es nicht schön? Denn natürlich kann man nicht ewig verliebt sein (auch wenn man durchaus lernen kann, sich immer wieder neu zu verlieben), irgendwann muss man sich auch mal streiten und manchmal wieder vertragen – oder erkennen, dass man doch zwei eigene Personen mit eigenem Leben ist und sich gar nicht alles zu einem rosa Blütenmeer verschmelzen lässt. Es gibt unendlich viele Hindernisse. Aber wäre es nicht schön?
Verlieben ist nichts anderes als Hoffnung auf Autopilot. Natürlich könnte man sich auch dagegen wehren, aber wozu? Wenn die Hormone erstmal verrückt spielen und Zeit sich nur noch als Warten auf das nächste Treffen, das nächste Telefonat, die nächste Nachricht messen lässt. Wenn jeder Tagtraum den gleichen Inhalt hat und es nur zehn Minuten braucht, um wieder seufzend in einem zu versinken. Wenn die Freund*innen ab und an mit den Augen rollen, weil die Schwärmereien wieder überhand nehmen und sich zu ganzen Vorträgen auswachsen, dann kann es schöner kaum werden.
Natürlich kann das auch schrecklich anstrengend werden, nicht nur für das Umfeld, aber das wussten wir alle schon durch das Sprichwort mit den Rosen und den Dornen. Und weil es etwas Gutes eben unbedingt geben muss, wenn wir nicht verrückt werden wollen, und die wahre Bewegung, die alles mögliche abschafft, gerade nicht das höchste Tempo an den Tag legt, warum nicht verlieben? Keine Angst, so schlimm wird’s schon nicht. Und falls doch, hilft Schokoladeneis, wirklich!