analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 702 | Alltag |Reihe: Komm bitte!

Komm bitte, Vereinssterben

Von Kuku Schrapnell

Vier Menschen mit bunten Hüten und Schal halten in einem offiziellen Gebäude freudig eine Art Dokument in die Kamera
Wo immer in Deutschland Menschen etwas unternehmen, ohne dass es dabei um ein Unternehmen geht, gründen sie einen Verein (z.B. Karnevalsverein). Foto: Joachim Fober / Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0 DEED

Da! Ich habe es gesagt und wahrscheinlich schon gleich die meisten Leser*innen verprellt. Immerhin sind nicht wenige Linke und eben wahrscheinlich auch nicht wenige Abonnent*innen dieser Zeitung bei eben solchen Vereinen angestellt, die gerade sterben. Für alle, die bis hierher nur Bahnhof verstanden haben, hier ein kleiner Exkurs:

Angefangen beim lokalen Sportverein wie dem 2. FC Dürröhrsdorf-Dittersbach über den Förderverein der Kindertagesstätte Rappelkiste bis hin zum Bund der Vertriebenen: Wo immer in Deutschland Menschen zusammenkommen, um gemeinsam etwas zu unternehmen, ohne dass es dabei um ein Unternehmen geht, gründen sie einen Verein. Schon vor einigen Jahren wurde begonnen, das Vereinssterben zu beklagen und sich um das deutsche Gemeinschaftsgefühl zu sorgen. Der demografische Wandel auf dem Land bedroht den Sportnachwuchs, und generell will sich ja niemand mehr engagieren. So zumindest die These. Gleich gab es auch die ersten Untersuchungen, die zeigten, eigentlich gibt es sogar mehr Vereine als einige Jahre zuvor. Allerdings veränderte sich deren Fokus. Weg von den klassischen Freizeitverbänden, mehr Richtung Fach- und Fördervereine.

Nicht nur Rechte schließen sich zum Bund der Vertriebenen zusammen. Auch Linke gründen fleißig Vereine. Vom Hausprojekt bis zur kleinen Gewerkschaft, der Verein ist als Rechtsform verbreitet und beliebt. Wer aber aktuell vom Vereinssterben spricht, meint häufig eine sehr spezielle Form: den Verein mit Lohnarbeit. Gerade mal ein Viertel aller Vereine beschäftigt Menschen in sozialversicherungspflichtigen Verhältnissen. Der Rest funktioniert rein ehrenamtlich. Jetzt muss man kein millionenschwerer Fußballclub sein, um Leuten ein Gehalt zu zahlen. Viele Vereine sind zum Beispiel in der Sozial- oder Bildungsarbeit tätig. Wer nun kritisch aufmerkt und denkt: Sind das nicht Aufgaben, die der Sozialstaat übernehmen sollte, kommt wahrscheinlich noch aus den 1970ern und sei an dieser Stelle dazu beglückwünscht, immer noch so stabil zu sein und die ak zu lesen. Alle anderen sind wahrscheinlich längst daran gewöhnt, dass diese Aufgaben systematisch ausgelagert werden. Zum Beispiel an Vereine.

Wer jemals in einem solchen gearbeitet hat, weiß, dass das in der Theorie besser klingt, als es in der Praxis funktioniert. So werden die finanziellen Mittel für diese Vereine meistens nur jährlich gewährt, und je nach politischer Großwetterlage kann sich auch schon mal ändern, welche Projekte im Folgejahr weitergefördert werden – und wer leider leer ausgeht. Genau dieses Leerausgehen ist der Grund, weshalb auch in linken Kreisen wieder vermehrt vom Vereinssterben die Rede ist. Gerade im Osten wird aktuell vielen Projekten der politischen Bildung der Geldhahn abgedreht. Genau da, wo es am nötigsten wäre, könnte man jetzt denken, aber dann missversteht man halt den Rechtsdrall der dortigen konservativen Regierungen.

Aus linker Perspektive lohnt es sich durchaus, nochmal über das Verhältnis zu Staat und Vereinskultur nachzudenken. Denn natürlich war es auch immer ein großer Vorteil, die politische Bildung und die soziale Arbeit mit vulnerablen Gruppen nicht dem Staat zu überlassen. Wer will schon die Versorgung queerer Geflüchteter von Leuten organisieren lassen, die an anderer Stelle ihre Abschiebung organisieren? Und auch, wer sich noch daran erinnern kann, wie Marx im Sozialkundeunterricht vorgekommen ist (falls überhaupt), ist doch froh über den ersten Lesekreis oder Vortrag, der dann im AZ oder der Jugendgruppe stattfand.

Die Abhängigkeit von staatlichen Strukturen, das ständige Antizipieren der nächsten Förderrichtlinie, das Klinkenputzen in Ministerien in der Hoffnung, doch noch ein Jahr länger Gelder zu bekommen, haben der Linken nicht nur gut getan. Denn da, wo aus Solidarität und Communities ein bezahlter Job wird, kehrt nicht nur die Entfremdung ein, es geht auch plötzlich mehr um berufliche Sicherheit und andere bürgerliche Erscheinungen als um die wahre Bewegung, die dies und das an schlechten Dingen beendet.

So schwer es auch unsere Strukturen trifft, dass plötzlich Gelder wegbrechen (das soll hier auf gar keinen Fall kleingeredet werden!), so sehr könnte es auch eine Chance sein, darüber nachzudenken, wie wir uns in Zukunft dem Elend stellen wollen, das diese Gesellschaft ständig produziert. Wer weiß, vielleicht fällt uns für unsere Utopien ja sogar ein besserer Name ein als Verein freier Menschen.

Kuku Schrapnell

ist neben ihrem neuen Job als schwule Sex-Kommunistin auch Trans-Aktivistin, gut aussehend und Wahl-Ostdeutsche.