Komm bitte, Transsexualität
Von Kuku Schrapnell
Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, kopieren müssen?« Als Walter »Daddy Vibes« Ulbricht 1965 diese Frage stellte, wusste er noch nichts davon, wie fragwürdig seine Position damals schon war. Er wusste noch nichts vom Ende des sowjetischen Sozialismus 25 Jahre später oder davon, dass er selbst 30 Jahre später als Aufhänger einer dekadenten Sexkolumne taugen würde.
Eins muss man der Analysefähigkeit des Mannes mit dem mysteriösen Sexappeal aber lassen: Auch wenn der Ostblock gefallen und es um viele post-ost Staaten recht schlimm bestellt ist, der Westen bringt noch immer bergeweise Dreck hervor. Der neueste, der grade vor allem aus Großbritannien rüberschwappt, ist die gute alte Transfeindlichkeit, gehüllt in das Gewand des Radikalfeminismus. Seien es die transfeindlichen Twitter-Eskapaden von J. K. Rowling oder die Selbstinszenierung der Philosophieprofessorin Kathleen Stock als neuestes Opfer der Cancel Culture – auch hierzulande wächst die Angst vor einer übermächtigen Trans-Lobby, die den Feminismus übernehmen will. Es findet sich ein stetig wachsendes Publikum für die wichtigsten Fragen im Kampf gegen das Patriarchat: Wer darf auf welche Toilette, und welche Pronomen erlaubt der Duden? Wird die Fortschrittskoalition das Selbstbestimmungsgesetz verabschieden und damit endlich Frauen verbieten?
Und bald gibt auch noch Alice Schwarzer einen Sammelband mit dem Titel »Transsexualität« heraus. Ihr dürfte wohl klar sein, dass der Begriff Transsexualität von großen Teilen der Community abgelehnt wird, weil dahinter eine lange Geschichte der Unterdrückung steht. Aber Schwarzer war noch nie dafür bekannt, viel auf die Belange von Menschen außerhalb der weißen Mittel- und Oberschicht zu geben, sonst hätte sie es auch nicht bis zur Wahlfrau der Union oder zur Werbeikone für die Bild-Zeitung gebracht.
Dabei macht der Begriff der Transgeschlechtlichkeit, den viele transgeschlechtliche Personen bevorzugen, mehr Sinn als das Wort Transsexualität: Es geht schließlich um die Geschlechtsidentität und nicht um die sexuelle Orientierung von Menschen. Wenn wir also schon von Transsexualität sprechen müssen, dann bitte davon, wie geil transgeschlechtliche Menschen Sex haben oder vögeln oder rumbumsen. Denn das scheint für viele eine große Überraschung zu sein: Ja, wir bumsen!
So häufig auch die Frage kommt, was man denn so in der Hose hat, so selten wird gefragt, was man damit so macht oder eben nicht macht. Der Gedanke, dass jemand »sowas« (aka eine transgeschlechtliche Person) heiß finden könnte, wird höchstens als abgedrehter Fetisch zugelassen. Entweder sexlos oder sexsüchtig, aber definitiv nicht normal – so in etwa ist das Repertoire an Zuschreibungen, mit dem sich transgeschlechtliche Menschen konfrontiert sehen. Wir sollten uns also dringend angucken, was wirklich los ist. Komm bitte, Transsexualität!
Wer schon mal einen durchpädagogisierten Workshop zum Thema Sexualität mitmachen musste, weiß, was jetzt kommt: Die (Trans-)Sexualität gibt es nicht. Sexualität ist etwas Individuelles. Es gibt so viele Sexualitäten, wie es Menschen und Kombinationen von Menschen gibt. Abgesehen davon gibt es durchaus transspezifische Dinge, was sexy time angeht: Seien es Praktiken wie Muffing, bei dem der Leistenkanal bei Personen mit Penis mit dem Finger penetriert wird oder die veränderte Anatomie durch die Hormonersatztherapie und OPs, die neue sexuelle Praktiken möglich oder erforderlich macht.
Aber Obacht! Manche Musterschüler*innen tarnen ihre eigene Unsicherheit mit transgeschlechtlichen Personen gern als gut gemeinte »Rücksicht«. Dann wird davon gefaselt, dass man mit transgeschlechtlichen Menschen nicht normal ficken kann, wie mit allen anderen auch. Nein, es sei vielmehr ganz besondere Vorsicht angebracht, weil Sex Geschlechtsdysphorie auslösen kann und es deswegen ganz ganz wichtig ist, vorher nachzufragen, was man wie anfassen darf und wie man Körperteile benennt. Das sind Sätze, bei denen ich die Krise bekomme! Ich bin bisher davon ausgegangen, dass auch cisgeschlechtliche Heterosexuelle unterschiedliche Bedürfnisse haben und es bei Sex im Allgemeinen angeraten ist, darüber zu kommunizieren, was die anderen Beteiligten so wollen und mögen.
Worum es eigentlich geht, ist viel basaler: Nämlich darum, Personen, mit denen wir Sex haben, auch so zu begehren, wie sie sich selbst definieren. Unabhängig davon, ob sie Hormone nehmen, OPs hatten oder was auch immer, ist ein trans Mann ein Mann, eine trans Frau eine Frau und eine nicht-binäre Person nicht-binär. Ihr müsst sie einfach nur ganz genau so bumsen oder nicht bumsen wollen wie alle anderen auch, und fertig ist die Kiste. Jetzt muss nur noch jemand mit mir reinspringen.