Komm bitte, Streit!
Von Kuku Schrapnell
Eigentlich ist es erstaunlich, wie unfähig viele Linke sind, wenn es um‘s Streiten geht. Dabei könnte man meinen, dass es sich dabei um eine Kernkompetenz handelt von Menschen, die davon ausgehen, dass das Zusammenleben der ganzen Welt irgendwann mal so organisiert werden soll, dass alle irgendwie mitbestimmen können – zumindest da, wo es sie betrifft. Wer jetzt wo wie viel genau mitbestimmen darf, ist ja immer wieder umstritten, aber dass es so sein soll, ist bei den meisten doch noch die Grundlage.
Wenn aber alle Leute mitbestimmen sollen, kommt man doch nicht ganz umhin, dass sich nicht immer alle einig sind, weil die Einsicht in die Notwendigkeit ist alles, aber kein Naturgesetz. Wenn sich aber nicht alle einig sind, muss man sich manchmal streiten und am Ende gibt es dann vielleicht auch eine Einigung.
Offenbar gibt es Unstimmigkeiten darüber, wie man eine Einigung erzielt. In vielen Politgruppen kommt es darauf an, wer den längsten Redebeitrag auf dem Plenum halten kann oder wer es überhaupt noch schafft, gegen Mitternacht einen klaren Satz rauszubringen und nicht eh schon längst nach Hause musste, weil da die Kinder oder am nächsten Morgen die Lohnarbeit warten. In Parteien geht es vor allem darum, wer die selbst ausgedachte Bürokratie am besten versteht und die meisten Familien organisieren sich noch immer nach dem altbewährten System: Wer am lautesten schreit, hat recht.
Aber auch die Einigkeit selbst als Ziel eines Streits ist fragwürdig. Ein Wort, das auch die deutsche Nationalhymne beginnen darf, sollte bei Linken alle Alarmglocken schrillen lassen. Und wo wir schon bei Deutschland sind: Auch die sogenannte Wiedervereinigung war wohl alles außer einem linken Erfolg.
Aber es geht auch anders. Im Tausende Jahre alten jüdischen Talmud zum Beispiel werden Todesurteile, die einstimmig gefällt wurden, für ungültig erklärt. Erst wenn jemand widerspricht, kann es mit rechten Dingen zugehen, so schmerzhaft das auch manchmal sein mag.
Schmerzhaft muss aber nicht immer gleich schlecht heißen. Das und noch gleich viel mehr lässt sich von verschiedenen BDSM-Praktiken lernen. Schmerz ist schließlich nicht gleich Schmerz, was als lustvoll, aushaltbar oder zu viel empfunden wird, bei jedem Menschen anders und jede Situation eine einzigartige. Es braucht also zuerst einmal die Fähigkeit, tief in sich reinzuspüren – zu gucken, wo die eigenen Grenzen liegen, aber auch, wo einen die eigene Neugierde so hintreibt. Beim gegenseitigen Schlagabtausch sollte allen klar sein, wo sie geschlagen werden möchten und wo sie gerne mal hinschlagen würden. Und am besten redet man vorher drüber und bringt sich auf eine gemeinsame Ebene.
Auch, wenn so manch eine*r sich gerne als schonungslose*r Kritiker*in der Verhältnisse darstellt und Zurückhaltung und Strategie mit Schwäche verwechselt, sollte doch klar sein, dass gerade im nicht zum Sch(l)uss kommen, im Hinauszögern und vielleicht sogar in der ein oder anderen selbst angelegten Fessel ein ganz besonderer Reiz liegen kann.
Aber selbst bei jeder noch so guten Vorbereitung und allen möglichen Absprachen sieht die Realität doch häufig anders aus, als jeder Plan und aus dem angenehmen Streitgespräch droht eine neue Spaltung zu werden. Auch dafür haben sich schlaue Menschen schon verschiedene Lösungen ausgedacht. Abgesehen vom immer mal wieder Nachfragen, ob es noch für alle okay ist, was gerade passiert, gibt es auch Safe-Words – also Wörter, die offensichtlich nicht Teil des Kontextes sind und neben Irritation auch ein sofortiges Stopp auslösen. Aber auch vorher lassen sich mit dem einfachen Ampel-Test Stimmungen abfragen: Rot heißt sofortiger Stopp, gelb, dass es schon langsam an eine Grenze geht und vielleicht auch was anders oder weniger doll gemacht werden soll und grün heißt immer gerne feste weiter.
Nach einer durchstandenen Session ist aber nicht gleich Friedefreudeeierkuchen! Danach steht erstmal Aftercare an, also gemeinsam aus dem Spiel auszusteigen. Da wird sich nochmal umeinander gekümmert und das Auftauchen aus dem heftigen Aneinander-Reiben unterstützt. Denn schließlich muss nicht jeder Streit, egal, ob man am Ende zusammenkommen konnte oder nicht, spurlos an allen vorübergehen und so lohnt es sich, noch ein bisschen zusammenzusitzen. Nehmt eure Genoss*innen und solche, die ihr dazu machen wollt, nochmal in den Arm, holt eine Runde Getränke oder lasst euch noch was ausgeben.
Denn am Ende ist der Kommunismus nicht nur die wahre Bewegung und so weiter, sondern auch die Freundschaften, die wir auf dem Weg geschlossen haben. Und um die sollten wir uns schließlich auch kümmern.