Komm bitte, Sicherheit
Von Kuku Schrapnell
Es ist schon ein paar Jahre her, da sagte eine der Schlauesten, die ich kenne, wir Linken sollten mehr über Sicherheit reden. Sicherheit und Verbindlichkeit. Selbst heute fängt es an, unter meinen Zehennägeln zu kribbeln, wenn ich diese beiden Wörter nebeneinander lese, und das, obwohl ich mittlerweile glaube, dass sie recht hat.
Wer auch in den 1990ern mitten ins Ende der Geschichte hineingeboren wurde, kennt das Gefühl: Während uns unermessliche Freiheiten und täglicher Fortschritt versprochen wurden, seit wir reden konnten, stellte sich schon im folgenden Jahrzehnt heraus, dass der Weltfrieden wohl doch nicht vor der Tür steht, der Kapitalismus weiter eine Krise nach der nächsten produziert und die vermeintlichen Freiheiten sich längst als Trick des Neoliberalismus herausgestellt haben, mit dem sich nur noch mehr Mehrwert abschöpfen lässt.
Und trotzdem: Das Gefühl, dass Sicherheit nur Einschränkung heißt, bleibt. Es ist ja auch kein Wunder, wird der Begriff doch auch ständig von Rechten benutzt. Für die Sicherheit wird dann mehr Polizeipräsenz oder mehr Aufrüstung und Bundeswehr gefordert, weniger Junkies und Obdachlose in der Innenstadt oder im durchgentrifizierten Szene-Stadtteil, kurz: Wenn es nach den Rechten geht, ist Sicherheit alles, was den Status Quo erhält.
Dabei ist es gar nicht so, dass die Linke noch nie was von Sicherheit gehört. Die Forderung nach sicheren Fluchtrouten ist längst Standard unter Antirassist*innen, Safer Sex gehört zur queeren Community wie Safer Use zu jeder vernünftigen Drogenpolitik. Und jede*r Gegenstandpunktler*in erzählt ungefragt bei jeder Gelegenheit, dass der Kommunismus auch im Interesse des Bourgeois ist, weil er das Konkurrenzverhältnis auflöst und somit endlich Ruhe und Sicherheit verspricht.
Aber der Reihe nach. Denn ganz so einfach ist es am Ende auch wieder nicht. Gerade die Debatte um Safer Sex wurde zu Hochzeiten der Aidskrise mit hartem Bondage und harten Bandagen geführt, zumindest innerhalb der queeren Community im Westen. Schließlich bedrohte die Pandemie nicht nur die Errungenschaften der Bewegung aus den 1970ern. Wir erinnern uns noch gut an Äußerungen von Seehofer, der davon träumte, Infizierte in »speziellen Heimen« zu »konzentrieren«. Andererseits bedrohte Safer Sex die frisch errungenen Ideen von befreiter Sexualität und machte aus manchem berühmten und perversen Regisseur einen Moralapostel, der für Monogamie und Sittsamkeit eintrat.
Und auch 500 Jahre nach der ursprünglichen Akkumulation scheinen die wenigsten Kapitalist*innen bemerkt zu haben, dass es in ihrem Interesse und zu ihrer eigenen Sicherheit wichtig wäre, mit dem weiteren Akkumulieren aufzuhören. Dabei hat – wer hätte gedacht, dass ich das mal schreiben würde – der Gegenstandpunkt ja gar nicht so unrecht damit. Vielleicht jetzt nicht so ganz mit dem, was sie glauben, was Kapitalist*innen so denken, aber zumindest doch damit, dass Konkurrenzverhältnisse und Machtstrukturen in den wenigsten Fällen Sicherheit bieten – je weiter unten man steht, desto weniger. Denn nicht nur das kapitalistische Konkurrenzverhältnis bedroht uns als Individuen jederzeit, auch die patriarchalen und rassistischen Ordnungssysteme verlangen immer wieder danach, neu hergestellt zu werden, und lassen die eigene Position immer wieder prekär werden.
Kurzum: Das Individuum hat im Allgemeinen eine stressige Zeit. Solidarität heißt im besten Fall, hier und jetzt ein Stückchen Sicherheit zu geben und langfristig dafür zu sorgen, dass alle Sorgen und Unsicherheit auf gesellschaftlicher Ebene beseitigt werden. Freiheit stirbt nicht mit Sicherheit, sondern Sicherheit ist die notwendige Grundlage, um frei zu sein. Es geht aber gegen die falsche Sicherheit der Autoritären und für die ganz einfache Sicherheit, nicht verhungern zu müssen, versorgt zu werden, wenn man krank ist, und auch als alleinerziehendes Elternteil noch am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Um die Sicherheit, dass niemand sterben muss, wenn es sich verhindern lässt, dass alle leben können und alle an allem teilhaben können, wenn sie es denn wollen.