Komm bitte, Regenbogenfahne
Von Kuku Schrapnell
Es ist Juni, und weil irgendjemand sich das so ausgedacht hat, ist dieser Monat der sogenannte Pride Month. Anlass ist der Jahrestag der Stonewall Riots in New York City. Damals, genauer: in den frühen Morgenstunden des 28. Juni 1969 wehrten sich vor allem trans Frauen, Stricher und nicht weiße Personen gegen eine Polizeirazzia im Stonewall Inn. Innerhalb kürzester Zeit wuchs die Menge an und lieferte sich, angeheizt durch Rufe aus dem nahegelegenem House of Detention for Women, eine mehrere Tage dauernde Straßenschlacht mit der Polizei. Darüber ließen sich noch die verschiedensten Anekdoten erzählen oder auf die Debatte eingehen, wer denn nun wirklich den ersten Stein geworfen hat oder was Afeni Shakur damit zu tun hatte, eine Black-Panther-Aktivistin, deren Sohn Tupac Shakur Jahrzehnte später Musikgeschichte schreiben sollte.
Wenn man sich anguckt, was den Pride Month heutzutage ausmacht, ist vom Geist von 1969 wenig übrig geblieben. Heute werden im Juni Firmenlogos in Regenbogenfarben geändert, wie bei Nestlé oder Visa, und aus den Riots sind im schlimmsten Fall Paraden geworden, wo die Leute, um die es eigentlich gehen sollte, am Rand stehen, während verschiedene Trucks und Paradewagen, zum Beispiel von Nestlé oder Visa, an ihnen vorbeifahren. Im Gepäck haben die Wagen regenbogenfarbene Firmenlogos, regenbogenfarbene Give-aways, die nicht mal bis zum nächsten Juni durchhalten, und regenbogenfarbene kapitalistische Verwertung, die eigentlich auch nur die ganz normale kapitalistische Verwertung ist. Nicht umsonst dachte ich lange Zeit, die Regenbogenfahne hätte all ihr subversives Potenzial längst verloren.
Ganz schön arrogant. 2017 wurde Sarah Hegazi von den ägyptischen Sicherheitsbehörden verhaftet. Die überzeugte Kommunistin hatte ein Konzert der libanesischen Band Mashrou’ Leila besucht, deren Sänger*in offen queer lebt. Ein Foto zeigt sie dabei, eine Regenbogenfahne hoch haltend, lächelnd und glücklich. Einige Tage später wird sie bei der Razzia festgenommen. Das Foto, das so viel Glück ausstrahlt, zum Beweis. Angeklagt wegen »Ausschweifung«, wird sie ins Gefängnis gebracht, wo sie Folter und Missbrauch erlebt. Auch wenn sie nach drei Monaten gegen Kaution entlassen wird und es schafft, nach Kanada zu fliehen, überlebt sie das Erlebte nicht. 2020 begeht sie Selbstmord. Ihr Abschiedsbrief endet mit den Worten: »An die Welt: Du warst grausam, aber ich vergebe dir.«
Wenn heute noch Menschen mit der Regenbogenfahne kämpfen, kann ich da glauben, sie hätte keine Bedeutung mehr, weil so viele Prides und CSDs nur noch aus großen Firmen zu bestehen scheinen?
Wenn ihr auf eure kleinen regenbogenfarbenen Gimmicks guckt, denkt kurz an Sarah Hegazi, an die Queers überall auf der Welt und die Perversen in den Dörfern, in denen die Faschos versuchen, die Oberhand zu gewinnen.
Die Regenbogenfahne war nie nur ein Symbol für gleiche Rechte und die Homoehe. Es war ein Symbol, das es in kürzester Zeit um die ganze Welt schaffte und überall zu einem Zeichen wurde, für das Perverse, das den starren Geschlechtersystemen und den strengen Regeln der Heterosexualität immer entgegensteht.
Der Hass auf alles Queere und Perverse ist ein wichtiges Zugpferd für die rechten Bewegungen unserer Zeit. Das lässt sich nicht zuletzt an wachsender queerfeindlicher Gewalt und den zunehmenden Angriffen auf CSDs erkennen. Umso wichtiger ist es, auch dieses Jahr die Regenbogenfahne zu schnappen und genau da hinzugehen, wo es noch um Demos für ein freies Leben geht. In die Kleinstädte und Dörfer, nach Brandenburg und Olpe, nach Pirna und Lehrte, nach Minden und ins Voigtland.
Und wer sich danach zur Entspannung auch mal eine Parade angucken will, denen sei es gegönnt. Aber wenn ihr auf eure kleinen regenbogenfarbenen Gimmicks guckt, denkt kurz an Sarah Hegazi, an die Queers überall auf der Welt und die Perversen in den Dörfern, in denen die Faschos versuchen, die Oberhand zu gewinnen, und überlegt euch, wie ihr sie unterstützen könnt.