Komm bitte, Klapse!
Von Kuku Schrapnell
Es ist gar nicht so eine einfache Entscheidung, zwölf Wochen lang das eigene Leben zu pausieren, die eigene Wohnung und das ganze Umfeld zu verlassen. Und das alles, um sich nur auf sich selbst zu konzentrieren. In meinem Fall hieß das, mich eine Menge mit meiner eigenen Vergangenheit zu beschäftigen und noch viel mehr, einen besseren Umgang mit der Gegenwart zu lernen. Und als ich wieder raus kam, war alles wie vorher auch, abgesehen von den neuesten Rekordwerten der globalen Erwärmung.
Zwölf Wochen lang saß ich auf einem westdeutschen Berg, eine halbe Stunde von der nächsten Stadt entfernt, umgeben von den Tieren des Waldes und schönen Blumen und einem Bach und alles ganz wunderbar märchenhaft. Der*die geübte Psychoanalytiker*in weiß natürlich bestens Bescheid, dass unter der unschuldigen Fassade der Märchen die Grauen des Unbewussten warten, aber mit Psychoanalyse hatte ich zum Glück nur sehr wenig zu tun.
Unter den meisten Linken gilt die Psychoanalyse ja weiterhin als einzig legitime Therapieform, also wenn überhaupt Therapie gemacht wird. So wird dem ehemaligen Herausgeber einer anderen linken Monatszeitschrift aus Hamburg der Satz nachgesagt: »Bevor ich Therapie mache, bring ich mich um.« Ich dachte mir, bevor ich mich umbringe, mach’ ich lieber irgendwas und muss sagen, das war eine sau gute Entscheidung.
Denn wer sich am Ende das Leben nimmt, ist erstaunlich selten Herausgeber, sondern viel häufiger aus der Arbeiterklasse, dem Osten oder queer. Generell sind psychische Erkrankungen und ihre Behandlung nicht gerade selten auch mit Fragen von Klasse oder Geschlecht verbunden. Die ach so gelobte Psychoanalyse, die für viele Linke als einziges infrage käme, ist nicht nur in der Ausbildung für die Therapeut*innen, sondern meist auch in der Behandlung für die Patient*innen schweineteuer. Auch ein guter Grund für viele, dann doch gar nicht erst anzufangen.
Dabei würde es dem ein oder anderen Genossen gar nicht schlecht zu Gesicht stehen, auch mal eine Klapse von innen zu sehen. Das soll jetzt gar nicht beleidigend klingen und unterstellen, dass Männer grundsätzlich Therapie bräuchten oder dass in der Linken ein Härtekult vorherrscht, der es gerade für Typen schwierig macht, Erlebtes offen anzusprechen und aufzuarbeiten.
Also dabei würde es vielleicht auch helfen, aber ich bin mittlerweile der festen Überzeugung, dass Depressive das neue revolutionäre Subjekt sind: Nicht nur nimmt die Anzahl der mit Depressionen diagnostizierten Menschen mit zunehmender Kapitalakkumulation immer weiter zu, ganz so als wäre das Leben im Spätkapitalismus oder Neoliberalismus – oder wie immer man es auch nennen will – gar nicht so spaßig, wie er uns erzählen will. Auf der anderen Seite sollte wirklich nicht unterschätzt werden, was Erfahrungswissen mit Menschen machen kann. Klar, Leute können Mark Fisher lesen, oder aber man kann das jetzt auch selbst durchleben.
Denn die meisten Patient*innen sind sich schon auf die ein oder andere Weise bewusst, dass es sich wahrscheinlich nicht um ihren letzten Klinikaufenthalt handelt oder zumindest nicht um ihre letzte Therapie. Deswegen wird man vielleicht nicht gleich revolutionär, aber wer wird das schon von ganz allein?
Und doch wissen viele, dass da draußen irgendwas ganz schön verkehrt läuft. Denn wenn sie es bis in die Klinik geschafft haben, stellt sich schon so etwas wie ein Community-Gefühl ein. Es ist eine enorme Entlastung, wenn man jemand anderem die eigene psychische Krise nicht bis ins kleinste Detail erklären muss, sondern die andere nur verständnisvoll nickt und sagt: »Mir geht das genauso.«
Damit ist auch keine Schuld mehr da. Das eigene Nicht-Funktionieren ist nicht mehr herausgestellt, sondern alle, mit denen man eine Zigarette raucht, einen Kaffee trinkt oder einfach nur so einen kleinen Schnack hält, packen es ja genau so wenig da draußen. Und plötzlich ist es gar nicht mehr so schwer, sich zu fragen, ob diese Welt jenseits des Klinikgeländes nicht auch einfach scheiße eingerichtet ist?
Es wird Zeit, in die Kliniken und Klapsen zu gehen, in die Gruppentherapien und Selbsthilfegruppen, egal, ob stationär oder ambulant, denn es wird Zeit, dass wir Depressiven aller Länder uns vereinigen. Wenn wir es heute aus dem Bett schaffen.