Komm bitte, Herzschmerz
Von Kuku Schrapnell
Als ein letzter Raum von Kitsch in einer dunkler werdenden Welt soll diese Kolumne ja ein wenig Heiterkeit und Leichtigkeit in den deprimierenden linken Journalismus dieser Tage bringen. Aber warum dann ausgerechnet über Herzschmerz schreiben? Hier gilt die alte Weisheit: Wer vom Verlieben spricht, darf vom Liebeskummer nicht schweigen.
Es steht schlecht um die Welt. Während die Rechten allerorten auf dem Vormarsch sind, ein Krieg schrecklicher als der nächste geführt wird, und die radikale Linke entweder mit Nabelschau, Grabenkämpfen oder dem eigenen autoritären Umbau beschäftigt ist, liege ich wochenlang im Bett und weine jeden Tag, weil einer gesagt hat, dass er nicht mit mir zusammen sein kann. Ist es nicht selbstgerecht und furchtbar verantwortungslos, in Zeiten wie diesen den eigenen Gefühlen so viel Platz einzuräumen, statt sich zusammenzureißen und alles für die Sache zu geben? Natürlich nicht. Denn, wer nicht trauern kann, braucht mir auch nicht mit einer besseren Welt kommen. Wir müssen lernen zu trauern, damit sie überhaupt möglich wird.
Wer wie ich Liebeskummer hat, ist schrecklich damit beschäftigt zu vermissen. Gerade eben war da noch jemand, plötzlich ist da nichts mehr. All die Liebe, die Vertrautheit, die Nähe und Intimität, der Körper der anderen Person, die Berührungen sind einfach weg. Kein Wunder, dass so viele Herzschmerzen in Wut enden, wäre diese Verletzung allein ja schon genug, und nicht selten gingen ihr schon viele voraus. Aber nur, weil wir uns in Beziehungen auch verletzen, heißt das nicht, dass es gleich eine toxische Beziehung war. Auch wenn es die natürlich auch gibt. Am Ende sind wir eben nur Menschen in einer menschenfeindlichen Gesellschaft, und wenn ich ehrlich bin, kenne ich niemanden, der so wirklich gut damit klarkommt.
Aber es endet auch nicht jede Beziehung in Verletzung. Manchmal läuft auch ihre Zeit ab, und es bleibt nichts außer auf einem Parkhausdach noch einen letzten Sekt zu trinken und eine Rakete steigen zu lassen und sich gegenseitig das Beste zu wünschen. Aber selbst nach so einem Ende bleibt ein kleiner Schmerz, ein Vermissen von allem, was man zusammen war.
Aber nicht nur das, was nicht mehr ist, bricht uns das Herz, sondern auch alles, was nie sein wird. All unsere Hoffnungen und verliebten kleinen Vorstellungen, was in der Zukunft noch alles kommen könnte, lösen sich auf. Es ist dieser Verlust einer Möglichkeit, wo es gerade noch so viele zu geben schien, der mich jedes Mal zum Weinen bringt. Zugegebenermaßen habe ich auch schon mal geweint, weil ich mir Shakshuka machen wollte und irgendjemand alle Eier verbraucht hatte, aber das hier ist was anderes.
Etwas, was es nie gab, zu betrauern, ist schwer. Nicht weil es schwer ist, traurig zu sein, zumindest nicht für mich, sondern weil Trauern heißt, Abschied zu nehmen. Wenn etwas so Schönes nicht mehr da ist, tut das weh, aber mit der Zeit können wir uns daran gewöhnen. Wo wir aber auf das hoffen, was alles sein könnte, ist es schwer abzuschließen. »Wenn ich mich jetzt melden würde und sagen würde, dass …«, ist der schwierigste Gedanke, weil an die Stelle der Hoffnung nur die Verzweiflung tritt.
Was soll all dieser Schmerz und all dieses Drama mit einer besseren Welt zu tun haben? So traurig es einige stimmen wird, aber auch in einer befreiten Gesellschaft werden wir um den Abschied und den Herzschmerz nicht herumkommen. Also warum nicht jetzt schon lernen damit umzugehen?
Außerdem gibt es für uns Linke mehr zu betrauern als eine Beziehung, die vielleicht nicht immer perfekt, aber doch etwas Schönes war, denn all unsere Versuche, die Welt von Grund auf besser zu machen, haben bisher noch nicht verfangen. Und wie viele unserer Utopien haben wir schon verpuffen sehen, und wie lange hat es gebraucht, neue zu formulieren? So manch eine hat sich bis heute noch nicht vom Zusammenbruch der Sowjetunion erholt. Und da soll ich auf meinen Liebeskummer verzichten?
Vielleicht hat der Zusammenbruch der Sowjetunion mehr Menschen betroffen als mein persönlicher Liebeskummer, und doch ist Herzschmerz ein Gefühl, das nicht nur ich habe. Im Herzschmerz verbindet sich die Trauer um die Möglichkeit mit der Trauer ums Reale wie selten sonst. Beide Formen werden wir lernen müssen, denn es wird kein Paradies mehr auf Erden entstehen. Bis zu einer besseren Welt werden wir noch um viel trauern müssen, und auch dann wird es damit so schnell nicht aufhören. Wir werden uns immer wieder von Träumen verabschieden müssen, von Dingen, von denen wir sicher waren, dass sie zu schön wären, um nicht auch wirklich zu passieren. Der Herzschmerz bleibt uns wohl erhalten, und deshalb fühle ich weiter rein und schäme mich nicht für die paar Tage im Bett statt auf der Straße.