analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 709 | Alltag |Reihe: Motherhoods

Self-Care

Von Jacinta Nandi

Eine Frau macht eine Yoga-Posa auf einer Matte vor einer kahlen Wand und einer Zimmerpflanze
Ist Self-Care wirklich so ein radikaler Akt? Oder ist Yoga machen dieser Tage schon ein Pakt mit dem Faschismus? Foto: Elina Fairytale / Pexels

Es ist also das passiert, von dem alle hofften, dass es nicht passieren würde: Donald Trump ist bald wieder an der Macht – im Weißen Haus sitzt dann ein Vergewaltiger, der Menschen mit brauner Haut hasst. Er ist wahrscheinlich der mächtigste Mensch der Welt, und wir alle suchen verzweifelt nach Trost. Vielleicht, sagen wir einander, vielleicht, vielleicht, vielleicht – VIELLEICHT – können wir in Europa Amerikas faschistisches Schicksal vermeiden, wenn wir die Vereinigten Staaten ein bisschen – nur ein bisschen, nur ein ganz kleines bisschen – es klingt ein bisschen Mean Girl, aber wirklich nur ein bisschen – na ja, ignorieren? Weniger Podcasts, Filme, Serien anschauen? Unseren Kindern deutsche Youtuber vorschlagen? Vielleicht? 

Alleinerziehende teilen deutsche YouTuber-Empfehlungen, unsere Kinder sind wenig begeistert. »Ich bin auch traurig, dass der böse Mann jetzt König von Amerika ist, aber ich will echtes YouTube gucken bitte, Mama.« Alleinerziehende starren ihre Kinder an, überlegen, ob sie sie verbessern sollen, er ist ja eigentlich kein König, aber dann lassen sie das.

Es ist also passiert, aber wir halten uns fest an diesem kleinen Trost wie Leonardo DiCaprio an der Tür in »Titanic«: Wir sind nicht Amerika. Vielleicht wird alles gut. Vielleicht nicht gut. Vielleicht aber okay. Und dann: Neuwahlen! Neuwahlen werden angekündigt, und alle wissen: Bald werden wir unsere eigenen Faschist*innen an der Macht haben. 

Das Problem mit Deutschland ist: Dieses Land ist super rassistisch, auch wenn die Menschen so tun, als würden sie Menschen mit brauner Haut mögen. Wir werden ertrinken in einem Fluss von Kacke – wir ertrinken gerade in einem Fluss von Kacke – ich ertrinke gerade, du ertrinkst gerade, er/sie/es ertrinkt gerade, wir ertrinken gerade alle. Wir ertrinken gerade, und dann kommt so einer und labert uns zu von wegen Self-Care.

Self-Care is a radical act, sagt mir eine Freundin, das kommt aus der Aktivismus-Szene und soll Aktivistinnen, besonders marginalisierten Aktivistinnen, die Kraft geben, weiterzukämpfen. Ach so, sage ich. An einem anderen Tag passe ich auf das Kind eines neoliberalen Girl-Bosses auf. Als sie das Kind abholt, guckt sie kurz in mein Badezimmer. Dann zickt sie mich ein bisschen missbilligend an: Self-Care soll eigentlich Arbeit sein, sagt sie, streng, Self-Care soll anstrengen. Niemand außer faulen Losern denkt, dass Self-Care leicht sei. Self-Care ist wichtig, Self-Care ist schön. Self-Care ist anstrengend. Self-Care ist, sagt sie, das, was man tut, wenn man darauf achtet, dass die Wohnung immer so gut aufgeräumt ist, dass man sich nicht schämen würde, wenn Angela Merkel spontan vorbeischaut.

Und ich, ich höre ihr zu und zünde Kerzen an, ich zünde Cinnamon-Spice-Kerzen an und hoffe, dass ich die Wohnung nicht in Flammen setze. Ich versuche, den Müll fast immer zu trennen. Ich nutze ätherisches Orangen-Öl, tue es in die Putzmittel, und wenn mein Sohn aufwacht, schnieft er und fragt, warum es so gut riecht. Weil Mama eine gute Hausfrau ist, sage ich. Ich lese Rosamunde Pilcher und wünsche, ich wäre eine Edelfrau in Cornwall, die irgendwie nie geheiratet hat, und mein verwitweter Ex wäre mein Vermieter. Ich mache eine Nasen-Dusche und kriege danach Kopfschmerzen, und hoffe sehr, dass gefährliche Bakterien gerade nicht mein Gehirn fressen. Ich gucke meinem Sohn beim Spielen zu. 

Ich gucke meinem Sohn beim Spielen zu und sage: »Ich hoffe, dass egal was jetzt passiert, du immer wissen wirst, dass Menschen mit brauner Haut auch gut sind.«

Mein Sohn sagt: »Ich mag Menschen mit brauner Haut mehr als Menschen mit weißer Haut.« »Warum«, sage ich. »Sie sind hübscher«, sagt er.  Ich sage eine Weile lang nichts, und dann sage ich: »Du sollt Menschen nicht nach ihrem Aussehen beurteilen.« Er hört auf zu spielen und guckt mich neugierig an. »Warum nicht?«, fragt er. Jetzt starre ich ihn neugierig an, ich kann mich an die Antwort darauf nicht erinnern. Warum eigentlich nicht? Wir müssen die Menschen nach irgendwas beurteilen – warum nicht nach dem Aussehen? Ich habe zu wenig geschlafen, wahrscheinlich, aber wäre es nicht so, dass wenn wir Menschen nach ihrem Aussehen beurteilen würden, es keinen Präsidenten Trump gäbe? (Dafür aber, denke ich, vielleicht einen Bundeskanzler Lindner?) »Es ist gemein«, sage ich, und gehe ins Badezimmer, um zu inhalieren. 

Draußen wird es kälter, bald ist Winter, Trump braucht kein Self–Care, oder? Ich denke an all die Kinder, die gestorben sind, und an die, die sterben werden. Es gibt kein Self-Care, das macht, dass das okay ist. Ein Teil von mir denkt sogar, dass weiter leben zu wollen in dieser Welt an sich faschistisch ist. Zu wollen, dass deine Kinder gedeihen, in einer Welt, in der Trump existiert, schon eine Abmachung mit dem Faschismus ist. Ein Teil von mir glaubt, dass wir Yoga auf den Leichen unschuldiger Kinder machen. Ich versuche nicht zu sehr auf diese Stimme zu hören. Morgen ist wieder Schule, bald ist Weihnachten. Ich lese einen Krimi von Ruth Ware. Ich backe. Ich glaube immer noch an den Menschen. Oder ich versuche es.

Jacinta Nandi

ist Autorin und lebt in Berlin, außerhalb des S-Bahn-Rings. Ihr letztes Buch heißt »50 Ways to Leave Your Ehemann« – ein Manifest, das alle Frauen in Deutschland ermutigen soll, ihre faulen Ehemänner zu verlassen (mehr oder weniger).

Unterstütz unsere Arbeit mit einem Abo

Yes, du hast bis zum Ende gelesen! Wenn dir das öfter passiert, dann ist vielleicht ein Abo was für dich? Wir finanzieren unsere Arbeit nahezu komplett durch Abos – so stellen wir sicher, dass wir unabhängig bleiben. Mit einem ak-Jahresabo (ab 58 Euro, Sozialpreis 38 Euro) liest du jeden Monat auf 36 Seiten das wichtigste aus linker Debatte und Praxis weltweit. Probeabo gibt es natürlich auch.