Imaginäre Waschraumwesen
Von Moritz Assall
Achtung, wichtige juristische Frage: Was ist ein Papierhandtuchspender? Klingt banal, ist es auch, hat aber tatsächlich in diesem Jahr mehrere Gerichte intensiv beschäftigt. Bis zum Bundesgerichtshof (BGH) höchstselbst ging die Fragestellung. Dabei hatte der BGH sich schon einmal ausgiebig damit befasst und im Jahr 1987 ein Urteil gefällt, das bislang als absolutes Grundsatzurteil im Bereich »Wesen des Papierhandtücherspenders« gelten durfte. Es sei nämlich so, befand der BGH damals, dass der »normale Durchschnittsbenutzer« die Spender in der festen Vorstellung bediene, sie seien eine bloße »Umhüllung der eingelegten Tücher« und müssten daher aus Rechtsgründen mit diesen unbedingt markengleich sein.
Aber: Times they are a changing! Heutzutage ist der »normale Papierhandtuchspenderverwender« einfach anders drauf, wie in der diesjährigen Entscheidung zu lesen ist: »Auch vor dem Hintergrund, dass er die entsprechenden Örtlichkeiten zwar möglicherweise wiederholt aufsucht, sich dort aber nur kurz aufzuhalten pflegt (…), schenkt er der Kennzeichnung und Herkunft der Spender keine oder nahezu keine Beachtung, weil bei ausreichender Verfügbarkeit alle Materialien ihren Zweck − also das Abtrocken der Hände − in meist zufriedenstellender Art und Weise zu erfüllen pflegen und der Verbraucher eine Rückkehr an den Ort des Geschehens jedenfalls nicht von einem mehr oder weniger großen Erfolg des Abtrocknungsvorgangs abhängig macht.« Das Befüllen von Marken-Papierhandtuchspendern mit fremden Papierhandtüchern stellt also keine Markenverletzung mehr dar. Es ist rechtlich egal, weil es – so ist im Urteil zu lesen – dem »normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher, auf dessen mutmaßliche Wahrnehmung es für markenrechtliche Beurteilungen ankommt,« egal ist.
Mir auch. Ich finde an dem Urteil aber etwas Anderes interessant, nämlich die Frage, wer eigentlich dieser »normale Durchschnittshandtuchspenderbenutzer« wohl so ist. Wo kommt er her? Wie kommen die Richter*innen darauf, was dieses mystische Waschraumwesen »am Ort des Geschehens« so denkt und tut? Tatsächlich sind die Urteile zwar politisch ziemlich belanglose, aber trotzdem schöne Beispiele füwr die juristische Methodik, zur Entscheidung einer Rechtsfrage auf einen vorgestellten »objektiven Dritten« zu verweisen – hier den »objektiven Benutzer« des Papierhandtuchspenders. Diese täglich in Deutschland quer durch alle Rechtsgebiete zigtausendfach angewandte juristische Praxis wird unter anderem durch den [post]migrantischen Jurist*innenbund oder feministische Jurist*innen heftig kritisiert.
Statt im Urteil zu schreiben »ich finde«, wie es eigentlich richtig wäre, wird von den Richter*innen auf eine imaginierte »objektive« dritte Person verwiesen – zack, schon klingt alles viel objektiver und neutraler. Einfach superpraktisch! Kleines Problem dabei: Letztlich beruhen diese Urteile ja trotzdem zumindest zum Teil schlicht auf persönlichen Meinungen der Richter*innen, also auch ihrer persönlichen Sozialisation, Herkunft, ihrem gesellschaftlichen Umfeld und so weiter. Diese Meinungen sind weiß, denn Richter*innen in Deutschland sind heute immer noch überproportional oft weiß und christlich sozialisiert, Richter*innen of Color oder aus Arbeiter*innenfamilien in absoluter Minderheit. In einer der wenigen Untersuchungen zum Thema ist zu lesen: »Der Anteil der Richter*innen mit Migrationshintergrund in Deutschland dürfte eher im Promille- als im Prozentbereich liegen.« Und diese Meinungen sind noch überwiegend männlich. Dass »der objektive Dritte« in all diesen Entscheidungen auch männlich ist, ist insofern nicht nur eine sprachliche Frage. Wobei – so ganz stimmt das auch nicht. Das Oberlandesgericht Düsseldorf stellte zum Beispiel in einer Entscheidung ab auf die durchschnittliche »gewissenhafte Hausfrau«. In der Sache ging es um einen Schaden nach fehlerhafter Verwendung einer Waschmaschine.