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|ak 686 | Kultur

Bücher machen ist gesellschaftlicher Kitt

Der Umsatz von kleinen Verlagen bricht ein – was ist zu tun?

Von Else Laudan

Eine Illustratio von einem Buch, aus dem die Buchstaben teils wegfliegen, teils von Händen wieder versucht werden, in das Buch zurückzudrücken.
Illustration: Maik Banks

Das Verhältnis zwischen Verlagen und Buchhandel ist traditionell geprägt von Marktstrukturen, die in der Branche kurz »Vertrieb« heißen. Doch die tagtägliche Arbeit mit Büchern bricht gerade zwischen unabhängigen Akteur*innen oft das rein Marktmäßige auf, wenn die Beteiligten sich als Kulturmachende sehen, einander wertschätzen und respektieren, weil es nicht bloß um Ware geht, sondern um Lesen und Gesellschaft. Da entsteht ein Charisma von ansteckender Strahlkraft. 

Denn im Gegensatz zum Konkurrenzmodus, der immer wie Kriegführen ist, kommt hier ein Kooperationsmodus zustande: Wir Büchermenschen tun was gesellschaftlich Nützliches. Dass genau das mit harter Selbstausbeutung einhergeht, unterstreicht die Notwendigkeit struktureller Eingriffe.

Ich arbeite seit 33 Jahren in einem linken Verlag, suche eine Politik des Kulturellen zu praktizieren. In jüngerer Zeit gab es in der Literaturproduktion zunehmend Bündnisse, die Sinnvolles bewirken, wie die Kurt-Wolff-Stiftung, die BÜHNE linker Verlage in Leipzig, #verlagegegenrechts, die 63 Indies der Düsseldorfer Erklärung, das Bundestag-Fachgespräch »Herausforderungen unabhängigen Verlegens«, zuletzt die Popup-Buchmesse. Und seit 2019 gibt es den Verlagspreis »gegen die Degradierung des Kulturguts Buch zur bloßen Handelsware, gegen die Bewirtschaftung einer geistigen Monokultur«, so die Worte von Monika Grütters, der ehemaligen Staatssekretärin für Kultur. 

Doch die Pandemie hat zu neuer Vereinzelung geführt. Wenn über Jahre Veranstaltungen und Treffen ausfallen und die Vernetzung aufs Digitale ausweichen muss, leidet auch der Austausch mit Kolleg*innen. Erst Ende Juni bei der Verleihung des Verlagspreises ’22 zeigte sich hinter vorgehaltener Hand, wie viele Verlage seit März/April krasse Umsatzeinbrüche haben und auf dem Zahnfleisch gehen. Was nicht offen kommunizierbar ist, weil in der Buchbranche (zementiert durch die oft allzu affirmativen Diskurse im Börsenverein des Deutschen Buchhandels) ein neoliberales Erfolgsregime den Ton angibt: Wenn’s eng wird, verschweige es, sonst wirst du als krank abgebucht und fliegst raus. Der Buchhandel, selbst in existenzieller Bedrängnis, kann im Kapitalismus keine Risiken eingehen – als Kulturvermittler benötigt auch er eine andere Struktur.

Wir Büchermachenden müssen Bündnisse schließen.

Lesen und über Bücher sprechen befördert das, was gesellschaftlich jetzt am nötigsten ist: Engagement und Mut, Kritikfähigkeit, konstruktiven Dissens, Weltkenntnis, Fantasie, Gemeinschaftsdenken. Derzeit reden Börsenverein und Regierung davon, die Literatur- und Buchkultur zu unterstützen, indem sie an der Mehrwertsteuer schrauben, aber das stärkt primär die großen Player, die Ketten und Konzerne – im Verhältnis dazu werden Kleinverlage und Kulturorte, die sich mit Hingabe für Qualität und Vielfalt starkmachen, kaum entlastet.

So lässt sich die nötige Diversität nicht fördern. Es sind die unabhängigen Verlage, die, wie es im offenen Brief von #verlagegegenrechts zur Leipziger Buchmesse heißt, »mit ihrer Arbeit das kulturelle Leben erst ermöglichen, Themen aufgreifen, noch unbekannte Autor*innen verlegen/übersetzen, Veranstaltungen an kleinen Orten durchführen, mit viel Herzblut die Vielfalt herstellen, die sich in den Augen der Gewinnoptimierer nicht rechnet, mit der sie sich gleichwohl gern schmücken – und aus der sie sich bedienen, sobald das öffentliche Interesse groß genug und das unternehmerische Risiko klein genug ist.«

Vielen Menschen ist kaum bewusst, was unabhängige Verlage tun und welche Rolle sie kulturell spielen. Unser Idealismus ist Voraussetzung dafür, die große Erzählung zu verändern, zu diversifizieren, sie nicht dem Regime des Marktes zu überlassen. Die große Erzählung, die Summe des Überlieferten, des als wahr und/oder wichtig Geltenden, bestimmt den vorherrschenden Glauben, prägt Geschichts- und Gegenwartsverständnis einer Gesellschaft, steuert Wahrheits- und Rationalitätsbegriff, aber auch Geschmack und Identifikation – zusammen mit dem kommerziellen »Mainstream«, in dem sich Hegemonie, kulturelle Vorherrschaft ausdrückt. An der starren Gültigkeit genau der großen Erzählung, die in die aktuellen Krisen geführt hat – patriarchal, kolonial, erfolgshörig, chauvinistisch gegenüber allem anderen –, arbeiten Kanon und Mainstream Hand in Hand, wertend und Hierarchie-Maßstäbe setzend (auch in der Bildung!), Markt- und Deutungsmacht definierend, alles am Erfolg der Warenform messend. 

Auch der Glaube an die Güte des Erfolgreichen ist Produkt eines antisozialen Weltbilds. Die Selbstpositionierung von Menschen in Gesellschaft erfährt Vergewisserung durch Zugehörigkeit zum Kanonischen oder Einordnung im Mainstream, wie Bourdieu in »Die feinen Unterschiede« zeigt. Beide, Kanon und Mainstream, stehen mit Recht im Vorwurf, Herrschaft zu befestigen und zu reproduzieren, sie sind reaktionär. In den aktuellen Krisen wird diese Unbeweglichkeit zum tödlichen Risiko für alle. 

Mich bedrückt und alarmiert, wie viele Menschen immer noch an Verkaufserfolg als Qualitätsmaßstab glauben. Aktuell überlagern sich Krisen auf mehreren Ebenen. Klimakollaps, die Kriege rücken näher, die Armut wächst und die Profite auch, die Pandemie geht weiter, das Wetter spinnt, Ressourcenschwund, Rechtsruck, Hassparolen, Inflation – wer gesellschaftlich denkt, sieht den gemeinsamen Nenner, Wachstums- und Profitmaxime als Motor der Katastrophen. Doch der herrschende Diskurs spricht sie wie naturgegeben, Gegenstimmen sind allzu gespalten. Die Druckpreise stiegen in wenigen Monaten um über 30 Prozent, die für Gas, Strom, Benzin und Essen schießen ebenfalls hoch. In den Nachrichten erscheint Inflation als Naturkatastrophe: Da müssen wir jetzt alle durch. Wir? Alle? Als linksfeministische Verlegerin wie als Krimiexpertin bin ich geneigt, die Frage »Cui bono?« zu stellen und herrschende Verhältnisse zu hinterfragen. Wie die Mehrzahl meiner Kolleg*innen in unabhängigen Verlagen. 

Die Fixierung auf Markterfolg und Bestseller ist gesellschaftlich toxisch. Die aktuellen Krisen verschwinden nicht von selbst, jede Lösung erfordert Partizipation, Aufklärung und Umdenken. Die von ein paar Konzernen scharf behütete Profitmaxime erwürgt die nötigen Impulse. Statt »Was verkauft sich gut?« muss die Frage lauten: »Wie wird ein Miteinander möglich?« Ein gerechteres, vielfältiges, nicht-destruktives Miteinander. 

Die Fixierung auf Markterfolg und Bestseller ist gesellschaftlich toxisch.

Von der Politik braucht es konkrete Unterstützung bei allem, was soziales Gedeihen über wirtschaftliches stellt. Auch eine strukturelle Förderung unabhängiger Verlage wie in Nachbarländern, weil ihre kulturelle Bedeutung nicht mit den Maßstäben von Wirtschaftsunternehmen erfasst werden kann: Wertschätzung der Arbeit an und mit Büchern als etwas, das Gesellschaft unbedingt benötigt. 

Aber darüber hinaus soziale Ansätze wie eine dauerhafte Veranstaltungsförderung: Orte für Lesungen überall in Stadt und Land, gesponsert mit anständigen Honoraren, für Begegnung und Austausch zwischen Buchmachenden und Lesenden. Das können Buchläden sein, Kulturzentren, Kirchen, Scheunen, Behörden. Das nützt Autor*innen, Verlagen, Buchhandel und Lesenden. Auch sinnvoll wäre eine Förderung für kompetente, diverse, mutige Literaturkritik aller Sparten. Das ist Gesellschaftsarbeit und wird gebraucht. Man muss seriöse Medien, die – selbst kriselnd – die Literaturkritik immer schlimmer beschneiden, im Wiederaufbau bestärken: ein renommierter Preis für starkes Bücherfeuilleton, egal ob print oder digital oder Rundfunk, um einer couragierten, kundigen, dünkelfreien Literaturkritik Rückenwind zu verschaffen. Das hilft der Kritikkultur und zugleich den Schriftsteller*innen im Ringen um Sichtbarkeit, stärkt gute Bücher, macht sie zum gesellschaftlichen Faktor, was dringlich ist. 

Empathie, Beweglichkeit, Fürsorglichkeit, Horizonterweiterung, Brückenschläge: Geschichten erzählen ist soziale Arbeit. Bücher machen ist gesellschaftlicher Kitt. Wir Büchermachenden müssen unsere Probleme solidarisch angehen und transparenter werden, mehr Bündnisse schließen und darin partiellen Dissens aushalten und in respektvolle Diskussion transformieren lernen. Was wir an Institutionen haben, muss daran mitwirken: Börsenverein, Verbände, Länder, Bundesbehörden (Kultur & Medien, politische Bildung).

Die Wirtschaft hat ihre (mächtigen) Lobbys, wir müssen eine aufbauen, die emanzipatorisch an der großen Erzählung von heute arbeitet, dabei offen bleibt, einander ernst nimmt, nicht im eigenen Saft schmort, wo Dünkel gedeiht, sondern dezidiert plural agiert, so vielfältig wie die unabhängigen Verlage. Verbünden wir uns für Aufklärung, Bildung, soziale Fantasie, Respekt, Empathie und konstruktive Kritik – alles unsere Kernthemen, projektübergreifend. Unsere (noch ziemlich alphabetisierte) Gesellschaft braucht das. »Gesellschaften verändern sich mit und ohne Gewalt. Neuerfindung ist möglich. Aufbauen ist möglich«, schrieb Ursula Le Guin. Wir sind Ressourcen dafür.

Else Laudan

ist Lektorin, Übersetzerin und politische Verlegerin. Seit 1989 macht sie das Ariadne-Programm im Argument Verlag.

Quellen und Links:

»Herausforderungen des unabhängigen Verlegens«

»Popup-Buchmesse« in Leipzig 2022

Büchermachen als soziale Arbeit

BÜHNE der linken Verlage auf der Leipziger Buchmesse

Düsseldorfer Erklärung unabhängiger Verlage

Feminismus und Kriminalliteratur

Große Erzählung – siehe auch meinen Beitrag über Kanon und Genre i.d. Literaturwissenschaft, in: Culturmag und hier

Kurt Wolff Stiftung zur Förderung einer vielfältigen Verlags- und Literaturszene, vielfältig aktiv seit 2000

Netzwerke unabhängiger Verlage gibt es auch regional, z.B. hier

Offener Brief von #verlagegegenrechts 2/22

Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Übs. v. B. Schwibs u. A. Russer. Suhrkamp 1987 (28. Aufl.)

Politik des Kulturellen nach Antonio Gramsci und Stuart Hall, aber auch als Transformation ins populäre Genre, nämlich mit kritisch-engagierter Kriminalliteratur von Frauen als dringende Ergänzung der Großen Erzählung von Unrecht, Verbrechen und Gewalt (Autorinnen wie Paretsky, Manotti, Cody u.v.m.). Verlag: www.argument.de

#verlagegegenrechts

Verlagspreis – Kulturstaatsministerin Grütters (CDU) wörtlich: »Wir wenden uns damit auch gegen die Degradierung des Kulturguts Buch zur bloßen Handelsware, gegen die Bewirtschaftung einer geistigen Monokultur, in der nur überlebt, was hohe Verkaufszahlen garantiert.«

Zitat der Zukunftsliteratin und Weltenbauerin Ursula K. Le Guin: »Macht korrumpiert nicht nur, sie macht abhängig. Arbeit wird zu Zerstörung. Nichts wird aufgebaut. Gesellschaften verändern sich mit und ohne Gewalt. Neuerfindung ist möglich. Aufbauen ist möglich. Was für Werkzeug haben wir zum Aufbauen außer Hämmern, Nägeln und Sägen – Bildung, Denken lernen, Lernen lernen?« (https://herlandnews.com/2018/03/07/i-am-sick-of-the-silence-of-women/)

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