Kapelle Hans Muff in der Rendez-Vous-Bar
Von Moritz Assall
Urlaub ist herrlich. Ganze Tage und Wochen füllen sich – um mit Marx zu sprechen – mit »Zeit, die nicht durch unmittelbar produktive Arbeit absorbiert wird, sondern zum enjoyment, zur Muße«. Der Philosoph André Gorz utopierte von Verhältnissen, in denen »nicht mehr die Maximierung der Produktion und des Profits« das Ziel sei, sondern »die Maximierung der freigesetzten Zeit, das heißt der Nicht-Arbeit und der Nicht-Produktion«. Urlaub ist davon süße Verheißung. Nichts macht das Leben leichter, als auf dem Wasser liegend in den blauen Himmel zu schauen und alles einfach mal für ein Weilchen sich selbst zu überlassen, in völliger ökonomischer Zweck- und Nutzlosigkeit.
Dem deutschen Recht wiederum ist dieser Gedanke der schönen Nutzlosigkeit fremd. Es ist getragen vom Gedanken, dass, wer hart und produktiv arbeitet, sich auch hart und produktiv erholen können muss – zumal diese Erholung auch noch meist in Warenform von der Tourismusindustrie erworben wird. Das entspricht genau der Beobachtung von André Gorz, dass »Nicht-Arbeitszeit (…) nicht mehr Zeit für Muße, Besinnung, Genuss und freie Selbsttätigkeit (ist). Sie steht selbst unter Zeit- und Verwertungsdruck, insofern es gilt, vom Geld, das man der Freizeitindustrie für sie gezahlt hat, so gut und schnell wie möglich zu profitieren«. Und tatsächlich gibt es im bürgerlichen Recht die Figur der »nutzlos aufgewendeten Urlaubszeit«. Das ist laut Bundesgerichtshof die Urlaubszeit, in der »der mit dem Urlaub verfolgte Erholungszweck verfehlt wird«, weswegen ein Schadensersatz in Betracht kommt.
Und nach Urlauben wird vor deutschen Gerichten oft auf Schadensersatz geklagt. Die vorgebrachten Gründe sind dabei vielfältig. So wies das Amtsgericht (AG) Aschaffenburg die Klage eines Urlaubers ab, der klagte, weil der Strand auf Mauritius »auch von Einheimischen« genutzt wurde, und die seien ihm zu laut gewesen. Ebenfalls abgewiesen wurden Klagen von Urlauber*innen wegen Haien am Strand (AG München), dem Weckruf eines Muezzins (AG Hannover), Fäkalien im Badewasser (AG München), rülpsendem Pöbel im Luxushotel (LG Hamburg), der versehentlichen Buchung einer Reise nach Porto statt Bordeaux aufgrund des sächsischen, für die Mitarbeiterin des Reiseunternehmens offenbar schwer verständlichen Dialekts der Klägerin (AG Stuttgart) oder der Tatsache, dass sich im Hotelzimmer kein Doppelbett, sondern lediglich zwei Einzelbetten auf rutschigem Fliesenboden befanden, weswegen dem Kläger in der Urlaubszeit ein »friedliches und harmonisches Einschlaf- und Beischlaferlebnis« entgangen sei (AG Mönchengladbach).
Anders urteilte hingegen das Amtsgericht Frankfurt/Main im Fall einer verschweizerten Karibikkreuzfahrt. Diese Kreuzfahrt wurde beworben mit dem Versprechen nach karibischer Unterhaltung in Form von »Folklore, Tanz, Misswahl und Kostümfest«. Dann allerdings wurde das Freizeitprogramm auf dem Schiff von einem Schweizer Folkloreverein übernommen, der andere Vorstellungen von einer echten Kreuzfahrtgaudi hatte. Im Urteil steht: »Nach den vorgelegten Tagesprogrammen waren Folklore-Gruppen (Schrammelgruppen und Blaskapellen) im Einsatz. Diese Folkloreeinsätze fanden nicht nur in den Sälen und Bars, sondern auch im Freien statt, z.B. an Deck und am Schwimmbad. Die Borddurchsagen über Lautsprecher in den einzelnen Kabinen erfolgten zumindest teilweise in ›Schwyzer Dütsch‹«. Dazu gab es »Trachtentanz in der Galaxi Disco auf dem Sun Deck«, »Folklorechoerli in der Galaxi Disco«, »Kapelle Hans Muff in der Rendez-Vous-Bar«, »Rassige Unterhaltung mit Dorfspatzen Oberaegeri beim Schwimmbad auf dem Jerusalem Deck, hinten« und so weiter, den ganzen Tag. Die Kläger*innen fassten vor Gericht zusammen, dass »sich die Gesamtatmosphäre während dieser Reise auf dem Schiff nur mit dem Begriff Schweizer Käse zutreffend beschreiben lasse«, ein Entkommen habe es auf dem Schiff nicht gegeben. Ob André Gorz an solche Verhältnisse dachte, als er vom »geradezu totalitären Zugriff der (…) Freizeitindustrie auf die Subjektivität der Menschen« schrieb? Darüber denke ich später nach. Aber erst lege ich mich aufs Wasser, schaue in den blauen Himmel und überlasse alles einfach mal für ein Weilchen sich selbst. Es ist herrlich.