Ist ein weniger autoritärer Sozialismus möglich?
Aufgeblättert: der Sammelband »Die jugoslawische Arbeiterselbstverwaltung«
Von Daniel Ernst
Im November 1945 entstand die Föderative Volksrepublik Jugoslawien, 1963 wurde der Bundesstaat umbenannt in Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (SFRJ). Viele europäische Linke blickten damals mit Interesse und Sympathie auf das jugoslawische Modell. Seit die von dem ehemaligen Partisanenmarschall Josip Broz Tito (1892–1980) angeführte Kommunistische Partei sich von der Bevormundung durch die KPdSU befreit hatte, schien ein weniger autoritärer Sozialismus möglich. Dessen Kernelement war die Arbeiterselbstverwaltung, die den Arbeitenden mehr Einfluss auf betriebliche Entscheidungen versprach, allerdings auch zu »absurden Auswüchsen von wirtschaftlichem Partikularismus« führte.
Das von Paul Michel herausgegebene Buch bietet einen guten Überblick über die Geschichte Jugoslawiens seit dem Ersten Weltkrieg, den antifaschistischen Befreiungskampf der Partisan*innen, den Bruch mit Moskau. Im Zentrum aber steht die Diskussion um »Licht und Schatten« der Arbeiterselbstverwaltung. Anliegen des Herausgebers ist es, die Erinnerung an die »hoffnungsvollen Ansätze« zu erhalten, die seit den kriegerischen Nationalitätenkonflikten und dem Ende Jugoslawiens immer mehr verloren geht. Gegenstand des Buches ist nicht die Niedergangsphase Jugoslawiens, sondern die kritische Auseinandersetzung mit emanzipatorischen Versuchen. Paul Michel erhofft sich davon nicht weniger als »fruchtbare Anregungen für die nach wie vor anstehende Neuvermessung der Utopie«.
Paul Michel (Hg.): Die jugoslawische Arbeiterselbstverwaltung. Licht und Schatten. Neuer ISP Verlag, Köln 2020. 145 Seiten, 14,80 EUR.