Zwischen Mao und Mullahs
Das Werk des iranischen Marxisten Mansoor Hekmat widerspricht gängigen westlichen Vorstellungen über Linke im Globalen Süden
In Zeiten, in denen die Kritik am »Eurozentrismus« erneut Konjunktur hat, ist die Vorstellung von Linken außerhalb der westlichen Welt häufig schablonenhaft. Auch wenn die Welle der Solidarität mit Rojava einen gewissen Wandel bewirkt haben mag, haben viele westliche Aktivist*innen zur Linken im Trikont oder im Globalen Süden entweder aus der Zeit gefallene Anhänger*innen stalinistisch-maoistischer K-Gruppen im Kopf oder beständig »die westliche Perspektive« im Namen eigener Besonderheit anklagende Adepten der Identitätspolitik. Der Trikont-Linke fungiert als exotisiertes schlechtes Gewissen des Metropolen-Linken.
Der iranische Marxist Mansoor Hekmat, dessen Todestag sich in diesem Jahr zum 20. Mal jährt, hat Werke hinterlassen, die diese Vorstellungen konterkarieren. Sie liegen quer zu jenen, wonach in kapitalistisch weniger entwickelten Ländern für die meisten Linken nationale Befreiung oder die Probleme des Agrarsektors im Vordergrund stehen. Hekmats Theorie weist viele Parallelen zum europäischen Links- und Rätekommunismus auf, sie vermeidet zugleich das Hauptwiderspruchsdenken dieser Strömungen.
Dabei vertrat der 1951 in Teheran geborene Zhoobin Razani, so Hekmats richtiger Name, etliche von ihm später kritisierte politische Positionen selbst. Nach dem Studium der Ökonomie an der Universität Schiraz im Süden des Iran ging er 1973 nach London, wo er unter anderem beim marxistischen Dozenten Ben Fine studierte. Wie viele Linke in den 1970er Jahren betrachtete Hekmat das China unter Mao zunächst als Vorbild.
Beim Ausbruch der Anti-Schah-Revolution 1979 gründete Hekmat, inzwischen aus London zurückgekehrt, die maoistische Union der kommunistischen Kämpfer (EMK). Bei weitem schwächer als die prosowjetische Tudeh-Partei oder die Volksmudschahedin spielte die EMK dennoch eine gewisse Rolle bei der Gründung der zeitweilig bestehenden Räte (»Schoras«), musste später angesichts der Repressionen des neuen Regimes in die kurdischen Gebiete des Nordens ausweichen. Dort schloss sich Hekmats EMK mit der 1969 entstandenen kurdisch-maoistischen Gesellschaft der revolutionären Werktätigen (Komala) zusammen. Nachdem die von der Volksmudschahedin abgespaltene »Peykar«-Fraktion dazu gestoßen war, wurde 1983 die neue Kommunistische Partei Irans (KPI) gegründet, die zunächst auf den bewaffneten Kampf gegen die Islamische Republik setzte.
1991 dann, als Teile der KPI anfingen, sich reformistisch neu auszurichten, spaltete sich Hekmat mit seinen Anhängern ab und gründete die Arbeiterkommunistische Partei Irans (AKPI), die sich bis heute auf seine originelle Theorie beruft.
Kritik der Lohnarbeit statt nationale Befreiung
Hekmat kehrte sich komplett von Maoismus und Romantisierung des Partisanenkrieges ab. Auch den Vorstellungen, zunächst stehe der Kampf für die nationale Befreiung im Bündnis mit der »patriotischen Bourgeoise« oder der Kampf um die Verwirklichung der bürgerlichen Demokratie an, erteilte Hekmat in seinen Schriften seit den 1990er Jahren eine deutliche Abfuhr. Stattdessen wandte er sich dem Klassenkampf des Proletariats als Schwerpunkt zu. Auch wenn er sich in vielen Punkten weiterhin mit Lenin im Einklang sah, weist seine Theorie des »Arbeiterkommunismus« viele Brüche mit seinen früheren Vorstellungen auf. Er nähert sich den links- und rätekommunistischen Positionen der Zwischenkriegszeit an. Das ist umso bemerkenswerter, als dass diese im Iran wenig bekannt sein dürften und auch bei Hekmat keine Erwähnung finden.
Zwar sieht Hekmat im Streben nach dem Kommunismus die Verwirklichung der der Menschheit immanenten Vorstellung von einer besseren Welt, doch zugleich entspringe Kommunismus den spezifischen Kämpfen des Proletariats. Hekmat unterscheidet zwischen »Arbeiterkommunismus«, der sich in der Aufhebung des Lohnarbeitssystems durch die Arbeiterklasse verwirklicht, und dem »bourgeoisen Kommunismus«, dem er in der Sowjetunion und anderen realsozialistischen Länder am Werk sah. Auch der Neuen Linken, Eurokommunismus und Trotzkismus im Westen sowie dem Befreiungsnationalismus im Globalen Süden bescheinigte er einen bourgeoisen Charakter.
Hekmat unterscheidet zwischen »Arbeiterkommunismus« und »bourgeoisem Kommunismus«.
Trotz des positiven Bezugs auf den Oktober 1917 sieht Hekmat die Entwicklung in der Sowjetunion nach Lenins Tod äußerst negativ. Ohne Abschaffung des Geldes und des »Systems der Lohnabhängigkeit« und einer wirklichen Vergesellschaftung der Produktionsmittel sowie angesichts des erstarkenden Nationalismus entstand dort, so Hekmat, ein »Staatskapitalismus«. Irritierend lesen sich allerdings seine Definitionen. »In der stalinistischen Ära fand auch nicht der Aufbau des Sozialismus statt, sondern der Wiederaufbau der kapitalistischen Nationalwirtschaft mit staatlicher Lenkung.« (1) Abgesehen davon, dass davor in der Sowjetunion gar keine Planwirtschaft im großen Maßstab möglich war und bei aller richtigen Kritik der sowjetischen Wirtschaft, die Löhne und Preise als »Hebel« der Planung sah, ist nicht klar, wo Hekmat in dem sowjetischen Modell kapitalistische Konkurrenz oder das Prinzip der Profitmaximierung als Produktionszweck entdeckt.
An den »ländlichen Bewegungen« und Anhänger*innen des »Dritte-Welt-Kommunismus« kritisierte Hekmat den Hang zur »Wiedereinführung archaischer lokaler Traditionen und des eigenen kulturellen Erbes als Gegensatz zur modernen westlichen Kultur.« Die AKPI ging so weit, die Umstellung der Farsi, der offiziellen Amtssprache im Iran, auf das lateinische Alphabet zu fordern, »um den Abstand zu überbrücken, der die iranische Gesellschaft von den führenden wissenschaftlichen, industriellen und kulturellen Fortschritten der heutigen internationalen Welt trennt.«
Alles andere als Klassenkampfpuristen
Auch wenn sich Hekmat in seinen Schriften von der Notwendigkeit der Übergangsgesellschaft und eines »Arbeiterstaates« überzeugt zeigt, sind seine Vorstellungen davon alles andere als eine Kopie des Sowjetrusslands unter Lenin. Vom klassenexklusiven Charakter der Räte ist im Programm der AKPI von 1994 keine Rede – wahlberechtigt sollen alle sein. In der Armee sollte Befehlsverweigerung aus Überzeugung erlaubt werden, Gerichte sollen ausdrücklich unabhängig von politischen Gremien sein, die Todesstrafe ohne Ausnahme abgeschafft werden, ebenso alle Formen des Einsatzes der Sicherheitskräfte in Zivil.
Anders als die Rätekommunist*innen Europas der 1920er Jahre sind die iranischen Arbeiterkommunist*innen keineswegs zu Klassenkampfpuristen und »Hauptwidersprüchlern« geworden. Neben dem fest gesetzten Punkt der Religionskritik, der alle Verlautbarungen der AKPI durchdringt und häufig fast obsessiv wirkt, nehmen Forderungen nach Gleichstellung der Geschlechter, Sexualaufklärung, AIDS-Prävention, Entkriminalisierung von Sexarbeit und Drogenbesitz viel Raum ein. Distanziert stand Hekmats Partei hingegen den Forderungen nach Autonomie der kurdischen Gebiete gegenüber; die AKPI hielt sie jedoch unter der Voraussetzung der freien Abstimmung für umsetzbar, wenn auch nicht wünschenswert. Ansonsten forderte die Partei ein »Verbot der Nennung einer nationalen Zugehörigkeit von Individuen oder Gruppen in der Öffentlichkeit, den Medien, in Büros usw. ohne ihre ausdrückliche Zustimmung.«
Hekmat starb am 4. Juli 2002 in London; die von ihm gegründete Partei ereilte das Schicksal vieler Organisationen, die sich auf das Werk von einem lebenden Theoretiker berufen und plötzlich alleine vor der Aufgabe stehen, seine Schriften zu deuten und auf deren Grundlage neue Herausforderungen zu analysieren. Die bereits im benachbarten Irak und in der dortigen kurdischen Region über eigene Schwesterorganisationen verfügende AKPI spaltete sich und ist heute vor allem im Exil aktiv. Viele Texte Hekmats warten noch darauf übersetzt und vor allem von den westlichen Linken gelesen und diskutiert zu werden.
Anmerkung:
1) Mansoor Hekmat: Eine bessere Welt. Programm der Arbeiterkommunistischen Partei, 1994, S. 21-22.