In der Regel
Betroffene von Endometriose leiden unter starken Schmerzen, aber auch an der Ignoranz von Medizin, Politik und Gesellschaft, die sie nicht ernst nehmen
Von Charlotte Drath
Es sind Alltagsgespräche in der Bahn, am Kaffeetisch, zwischen Tür und Angel, in denen ich manchmal eher beiläufig in einem Halbsatz fallen lasse »Ich hab‘ Endometriose«, so, als würde ich ihr keine zu große Bedeutung schenken wollen. Manchmal folgt darauf ein anerkennendes oder verständnisvolles »Aha«, manchmal eine zögerliche Rückfrage. »Und was ist Endometriose?« Viele Jahre lang wusste auch ich selbst es nicht. Von Ärzt*innen hörte ich ihn erst, als meine Periode zum Drama wurde. Ich war Anfang 20, gerade im Auslandssemester. Ich konnte mich erst vor Schmerzen nicht halten und bin dann einfach umgekippt. Schwindelig war mir häufiger als Begleitung zu meinen Regelschmerzen. Ich bekam Angst.
Die Allgemeinmedizinerin an meinem Studienort empfahl mir dann, meine Gynäkologin zu kontaktieren; und dann erzählte sie mir, dass auch sie manchmal umkippt, und dass man schon nicht dran stirbt. Zurück in Deutschland ab zur Gynäkologin: pfirsichgroße Zysten an den Eierstöcken, vermutlich durch Endometriose verursacht. Ich solle mich operieren lassen, am besten sofort, denn wenn die Zysten platzen, wird’s nicht besser. Jahrelang hatte ich Ärzt*innen von mir unnormal vorkommenden Schmerzen berichtet, war aber nicht ernst genommen worden. Damit bin ich kein Einzelfall.
Zahlen & Fakten?
In Deutschland ist Endometriose die zweithäufigste gynäkologische Erkrankung, weltweit geht man davon aus, dass 8 bis 15 Prozent aller Menschen mit Uterus betroffen sind. Am häufigsten wird Endometriose als chronische-entzündliche, gutartige Krankheit bezeichnet, bei der Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt außerhalb der Gebärmutter wächst. Daraus können Verwachsungen und Zysten an Organen im ganzen Bauchraum bis hin zur Lunge entstehen. Die Symptome sind aber äußerst unterschiedlich. Ohnmacht, Krämpfe, Schmerzen beim Sex, beim Stuhlgang, oder einfach bei allem im alltäglichen Leben. Andere Betroffene haben keine Symptome. Eine Diagnose ist nur mittels Bauchspiegelung möglich.
Jahrelang hatte ich bei medizinischen Untersuchungen von meinen Schmerzen berichtet, wurde aber nie ernst genommen.
Viele Betroffene berichten, dass ihre Schmerzen von Ärzt*innen jahrelang als normal abgetan oder als Prämenstruelles Syndrom oder psychogene Beschwerden fehldiagnostiziert wurden. Andere werden mit Ernährungstipps oder Schmerztabletten weggeschickt. Die Endometriose-Vereinigung Deutschland geht davon aus, dass im Durchschnitt etwa 10 Jahre vergehen, bis Patient*innen mit Schmerzen die richtige Diagnose erhalten – bei Patient*innen mit unerfülltem Kinderwunsch sind es übrigens nur drei Jahre, denn Endometriose ist die häufigste Ursache für die Unfruchtbarkeit. Endometriose aber bedeutet überdies eine teils starke Einschränkung der Lebensqualität bei einem nicht zu vernachlässigenden Teil der Gesellschaft: bei Personen mit Gebärmutter.
Trotzdem ist die Informationslage über die Krankheit von Chaos und Mythen gekennzeichnet. Statistiken sind nicht aussagekräftig und widersprüchliche oder unklare Erkenntnisse zu Ursache und Therapieformen koexistieren. Denn, Endometriose wird strukturell ignoriert. Das zeigt sich auch daran, wie häufig Aufklärungsarbeit von Betroffenen selbst geleistet wird. An öffentlicher Aufklärung mangelt es, denn die Krankheit ist im Vergleich zu anderen chronischen Krankheiten kaum erforscht.
»Karrierefrauenkrankheit«
Endometriose wurde lange Zeit als »Karrierefrauenkrankheit« bezeichnet. Dies wurde darauf zurückgeführt, dass die Krankheit häufiger bei Menstruierenden entdeckt wurde, die noch nie schwanger waren. Der Begriff »Karrierefrauenkrankheit«, soll darauf verweisen, dass Berufstätige eine Kinderplanung häufig verzögerten. Das verbreitete Narrativ bediente sich erfolgreich am sexistischen Rollenbild der gebärenden Frau. Forschungen widerlegen mittlerweile, dass Schwangerschaften die Krankheit heilen könnten und seit dem Beginn der ersten selbstorganisierten Aufklärungskampagnen in den USA in den 1980ern verlässt dieser antifeministische Begriff langsam den öffentlichen Wortschatz. Trotzdem häufen sich Berichte von Patientinnen, denen eine Schwangerschaft vorgeschlagen wird. Überdies werden Betroffene mit zahlreichen unbegründeten Gesundheitsempfehlungen behelligt: Mehr Sport machen, sich gesünder ernähren. Unwohlsein und Schmerzen werden so individualisiert und der Eindruck entsteht, die Betroffenen seien in irgendeiner Art Schuld an ihrer Erkrankung.
1860 oder 1690 – Mediziner*innen sind sich uneinig darüber, wann die Krankheit zum ersten Mal entdeckt wurde. Erst seit 1927 spricht man von Endometriose. Doch das klärt noch nicht, wie lange sie tatsächlich schon auftritt. Die limitierte akademische Literatur vermutet, dass das Phänomen der vermeintlich weiblichen Hysterie Jahrhunderte lang undiagnostizierte Fälle von Endometriose beschrieb. Zur Verfestigung von sexistischen Rollenbildern in patriarchalen Strukturen ein passendes Bild der »neurotischen Frau«.
Schmerzen
Obwohl und auch weil die Literatur und Forschung zu Endometriose ein unvollständiges Bild aufzeichnet, wird Endometriose als vergessene oder ignorierte Krankheit bezeichnet. Nicht, weil sie tatsächlich vergessen wurde, sondern weil die politischen Entscheidungsfindungen und eben auch die männliche Normierung der medizinischen Forschung sie nicht sieht.
Illustrationen
Anne Meerpohl hat diese Illustrationen beigesteuert. Sie beschäftigt sich als Malerin mit widerständigen Momenten des Körperlichen. Schambehaftete Körpersubstanzen und das Innere des Körpers bilden ihre feministische Gegenerzählung zum Narrativ vom männlichen Genie in der Malerei. Sie lebt in Hamburg und setzt sich mit queerfeministischen Themen in Form von Illustrationen, Malerei und Texten auseinander. Im Fokus steht dabei eine Utopie von Geschlechtlichkeit, Sexualität und Körpern. Mehr findet ihr bei Instagram @arttellspeople.
Es existiert ein weit verbreiteter Mythos, dass krasse Schmerzen und die monatliche Ration Ibuprofen normal für menstruierende Personen sein. Wer trotzdem ärztlichen Rat sucht, trifft auf die nächste Hürde. Aktuell gibt es keine Abrechnungsziffer für die Erhebung einer Schmerzanamnese bei Gynäkolog*innen, und so sind dafür keine Gelder vorgesehen. Gepaart mit dem schmerznormalisierenden Echo der Gesellschaft entsteht der Eindruck, dass Betroffene eben nicht selbst einschätzen können, was in ihrem Körper tatsächlich abgeht. Der gender pain gap beschreibt mit Blick auf Endometriose genau diesen Elefanten im Raum: Schmerzen von Menstruierenden werden grundsätzlich als weniger glaubwürdig gesehen.
Ignoranz und Aufmerksamkeit
500.000 Euro – das ist die Summe, die der Bund in den letzten 20 Jahren an Forschungsgeldern für Endometriose-Forschung bereitgestellt hat. Ein Witz, wenn man bedenkt, dass es sich um die zweithäufigste gynäkologische Erkrankung in Deutschland handelt. Die Endometriose-Vereinigung Deutschland e.V. fordert das 28-fache davon pro Jahr. Dass die vielfältigen Schmerz-Geschichten bei Betroffenen Auswirkungen des strukturell sexistischen Gesundheitswesens sind, ist schwierig zu vermitteln in einer Welt, in der die Lebensentscheidungen und Verhalten von Frauen tagtäglich beäugt werden. Aber es gibt sie, die Endo-Aktivisti. Die gelbe Stoffschleife ist ihr Kennzeichen, und jeden März organisieren sie den Endomarch.
1980 wurde die erste Endometriose Vereinigung in Milwaukee, Wisconsin von Mary Lou Ballweg und Carolyn Keith gegründet. Mittlerweile gibt es in 66 Ländern nationale Endometriose-Vereinigungen. Betroffene erzählen ihre Geschichten kollektivistisch. Selbsthilfegruppen gründen sich derzeit vermehrt. Betroffene finden dort Zuflucht, werden ernstgenommen und erhalten Selbsthilfe – denn genau das ist, was ihnen bleibt: Die Endometriose-Vereinigung veröffentlicht ausführliche Tipps für das Ärzt*innengespräch, mit dem die Patientin (!) die Ärzt*in von der Abnormalität ihrer Symptome überzeugen kann. Aktuell kämpft die Unterschriftenkampagne #EndEndosilence um Aufmerksamkeit und übt Druck auf die Ampelkoalition aus, in ihrem Versprechen für bessere Gendermedizin auch Endometriose den Kampf anzusagen. Die deutsche Endometriose-Vereinigung veröffentlichte 15 Forderungen, die die Förderung der Forschung und Aufklärung, das Arbeitsrecht, Anpassungen in politischen Strukturen und die internationale Zusammenarbeit betreffen. Ein Anfang, denn ohne ein umfassendes gesellschaftliches Umdenken wird so schnell keine strukturelle Ignoranz wett gemacht.
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