»Having a vagina means having pain«
Rebekka Endlers Buch »Das Patriarchat der Dinge« zeigt, wie für Männer gemachtes Design die Welt bestimmt
Von Julia Ingold
Meine zweijährige Nichte will in den Sandkasten steigen. Als sie ihr Knie auf den Rand stützt, um sich hochzuziehen, klemmt sie ihr Kleidchen ein und hindert sich selbst am Klettern. Als sie vier ist, spielen wir im Baumhaus, sie, ihr großer Bruder, ihr großer Cousin und ich. Als die Jungs beschließen loszuziehen, um Monster zu jagen, pfeift sie mich zurück: Wir müssen im Baumhaus bleiben und den Sand heraus fegen. Genau solche Erlebnisse bereiten uns Frauen vom zartesten Alter an darauf vor, dass wir uns entweder auf eine eklige Klobrille setzen müssen oder unter Bauchmuskelkrämpfen versuchen, über der Schüssel zu »hoovern«, wie es Rebekka Endler in ihrem ersten Buch »Das Patriarchat der Dinge« nennt. »Having a vagina means having pain«, zitiert Endler darin die Radprofi Hannah Dines.
Wir Frauen leben von Anfang an damit, dass die Gegenstände und Geräte uns nicht dienen, dass sie uns nicht passen, uns sogar behindern. Wir leben so sehr damit, dass wir das gar nicht hinterfragen. Endler hat nun ein Buch darüber geschrieben, dass das gar nicht sein muss. Es ist ein utopisches Buch, das zahllose Dinge vorführt, die Frauen das Leben schwer machen, die sich aber ganz leicht ändern ließen – wenn denn die (leider immer noch überwiegend männlichen) Entscheidungsträger*innen nur wollten. »Das Patriarchat der Dinge« verspricht einen Überblick über patriarchisch geprägtes Design, bietet jedoch viel mehr als das.
Die Journalistin geht unterschiedlichste Lebensbereiche durch und zeigt, wie diese durch die Dominanz des durchschnittlichen weißen hetero cis-Mannes geformt werden. Sie beginnt mit der Sprache und kommt über den öffentlichen Raum, Gender-Marketing, Technik und IT, Forschung, Handwerk, Industrie und Landwirtschaft, über Verkehr, Sport, Kleidung und Kultur bis hin zur Medizin.
Die Ausrichtung auf den durchschnittlichen Männerkörper ist lebensbedrohlich.
Bereits bei der Lektüre der ersten Seite bekomme ich eine Gänsehaut. Ich habe gerade Muskelkater vom Skaten und denke daran, wie anstrengend das ist, sich nicht auf die Klobrille zu setzen, so viel unfreiwilliges Bauchmuskeltraining. Jetzt werde ich für immer wütend sein, wenn ich eine öffentliche Toilette benutze – wie ich es schon seit Jahren beim Besuch öffentlicher Badestellen bin, weil alle Menschen, die als Frauen gelesen werden, ihre Brüste bedecken müssen – selbst wenn sie trotz Gegaffe Bock hätten, einfach oben ohne in den Fluss zu springen. Es gibt nämlich – das wusste ich nicht, obwohl ich mich für eine bestens informierte Feministin gehalten habe – tatsächlich komfortable Urinale für Frauen. Ich will die! Warum die nicht verbaut werden, könnt ihr bei Endler nachlesen.
So geht das die ganze Zeit weiter. Die Temperatur und Ausstattung in Büros, landwirtschaftliche Maschinen und Werkzeug – alles wird auf den durchschnittlichen Männerkörper ausgerichtet. Das wird lebensbedrohlich, wenn gesetzlich vorgeschriebene Sicherheitstests für Autos nur an Dummies gemacht werden, die dem durchschnittlichen männlichen Körper entsprechen. Wenn dann Frauen mit 17 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit bei Verkehrsunfällen sterben, ist das tödliche Diskriminierung. Warum zur Hölle wird nicht der Durchschnitt aus Körpergröße und Gewicht aller Menschen zugrunde gelegt? Unsere Leben sind wohl nicht so schützenswert. Im Prinzip singt Endler das alte Lied »Männlich ist die Norm, weiblich ist die Abweichung von der Norm«, das schon Simone de Beauvoir angestimmt hat.
Im Unterkapitel »Stranger Danger« erzählt die Autorin davon, wie präsent in den 1990er Jahren Kindes- (oder Mädchen-) Entführungen in den Medien waren: »Als Kind der 1990er-Jahre, oder vielleicht noch mehr als Mädchen der 1990er-Jahre, bin ich mit dem Bewusstsein aufgewachsen, dass alles im Leben möglich ist, solange ich es schaffe, nicht von einem fremden Mann entführt und umgebracht zu werden.« Ich war baff beim Lesen, weil ich das exakt so selbst in den 1990er Jahren erlebt habe und mich frage, wie vielen Frauen das wohl ebenso erging.
Dabei ist lange bekannt, dass Vergewaltigung vor allem im Familien- und Bekanntenkreis stattfindet. Aber mit der Geschichte vom mysteriösen Unbekannten wird von den eigentlichen Tätern, den »Vätern, Ehemännern, Brüdern, Onkels, Polizisten« abgelenkt und die Verantwortung auf die Opfer abgeschoben, die sich eben in der Öffentlichkeit anständig kleiden müssen und nicht mit Fremden mitgehen dürfen. Gerade in der Pandemie seien aber die Männer der Familie »die schlimmste Bedrohung für Frauen und Kinder« geworden. An diesem Punkt zeigt sich Endlers weiter Design-Begriff.
Das Buch hat keinen ganz klaren Fokus, sondern trägt Empörung über den Mythos der Jungfräulichkeit, die ein »fleischgewordenes patriarchales Design« sein soll, Statistiken über Verkehrsunfälle und Studien über Büromöbel zusammen. Manchmal argumentiert Endler mit Wissenschaft und Zahlen, manchmal mit der eigenen Erfahrung, bisweilen mit Interviews von Fachfrauen, mitunter mit Reportagen oder Kunstwerken. Das alles wirkt ein bisschen diffus, ist aber trotzdem informativ, unterhaltsam, empörend und lesenswert. Es ist auch ein bisschen lustig, hat etwas von dem bissigen Humor Margarete Stokowskis oder Liv Strömquists.
Endler schafft den Balanceakt, feministisch zu schreiben, ohne dass dabei Menschen, die keine Frauen, aber auch keine cis-Männer sind, sich ausgeschlossen fühlen müssten. Sie beschreibt eine Realität, in der die Menschen auf Teufel komm’ raus in zwei Geschlechter sortiert werden, und sie beschreibt, wie diese Realität für alle unpraktisch ist, die nicht dem männlichen Normkörper entsprechen. Es ist aber ein hoffnungsvolles Buch, weil es zeigt, dass es sehr oft konkrete – abänderliche! – Entscheidungen sind, die uns das Leben schwer machen, keine ominöse, unangreifbare Macht.
Rebekka Endler: Das Patriarchat der Dinge. Warum die Welt Frauen nicht passt. Dumont, Köln 2021. 336 Seiten, 22 EUR.