Der Steuermann geht von Bord
Abschied von Hans-Hermann
Wie soll man die Achtung für einen Menschen, die Achtung seines Wirkens im Leben auf ein paar Zeilen zusammenfassen? »Geht nicht!? Gibt’s nicht!«, würde Hans-Hermann sagen. Also konzentrieren wir uns auf einen Gedanken und eine Erläuterung, wie wir es beim Flugblattschreiben vor 50 Jahren gelernt haben.
Hans-Hermann war unser Steuermann.
Was ist ein Steuermann? Nicht der Kapitän. Und dennoch ist er die entscheidende Person, um das Schiff von A nach B zu bringen, durch Stürme den Kurs zu halten, die Besatzung bei Laune zu halten.
Am Montagabend war Sitzung des LG, des Leitenden Gremiums des Kommunistischen Bundes, danach Kneipengang. Am Dienstagmorgen lag das von kt. gefertigte Protokoll in den Postfächern. Hans-Hermann saß dann mit seiner Crew zusammen: »Wir sind nun dafür verantwortlich, aus den zehn brillanten Ideen unserer klugen Köpfe die eine auszuwählen, die in die Tat umgesetzt werden kann. Und wir müssen es so machen, dass keiner den neun nachtrauert, die in der Schublade versenkt werden.« Ja, er war ein Mann der Tat. Politik bestand für ihn im Handeln, darin, Ideen zu materialisieren, sie zu organisieren. Aber, und das war ihm genauso wichtig, eine gute politische Praxis kann ohne gute politische Ideen nicht leben. Deshalb sind die, die die Utopien erdenken, genauso wichtig wie die, die sie in die Tat umsetzen.
Hans-Hermann erschien uns als Inbegriff des kommunistischen Kaders. Seine Aufgaben im KB waren außerordentlich vielfältig, von der Betriebsarbeit bis zum überregionalen Aufbau der Organisation, Stadtteil-, später BI- und AL-Politik (für die Jüngeren: BI steht für Bürgerinitiative; die AL war die Alternative Liste, eine der beiden Vorläuferorganisationen der Grün-Alternativen Liste), Verwaltung der Finanzen, Verlagsarbeit. Dann kamen noch die Kampagnen und die Anti-AKW-Bewegung hinzu. Hier machte sich die physikalische Schlagseite im früheren Kommunistischen Arbeiterbund, KAB, und später auch im KB positiv bemerkbar. So verstand Hans-Hermann ziemlich schnell die Verschränkung von kommerzieller und militärischer Atomenergie. Dazu braucht man einen profunden fachlichen Überblick, den er besaß oder sich umgehend erarbeiten konnte, obwohl er sein Studium nur nebenher betrieben hatte.
Er war maßgeblich daran beteiligt, dass der KB die GAUs von Harrisburg und Tschernobyl rasch analysierte und die richtigen Schlussfolgerungen zog. Eine damals erstellte Broschüre zu Harrisburg (»Das war nur der Anfang«) erweist sich heute als prophetisch und zeigt, wie ernst der KB im Unterschied zu allen anderen kommunistischen Organisationen das Thema nahm. Hans-Hermann leitete dann selbstverständlich die Anti-AKW-Kommission. Mehr und mehr beteiligte er sich auch am Demonstrationsgeschehen. Er war kein großer Redner auf Straßen oder Plätzen, aber wenn es nötig war, griff er auch im Getümmel nach einem Megafon, oder er verhandelte mit der Polizei.
Er hatte ein umfassendes Verständnis von Politik, das ganz und gar nicht vom Wunsch nach Weltrevolution eingeschränkt war. So war er in den 1970er Jahren einer der Gründungsväter des Hamburger Kinderhauses, ein Reformprojekt für einen anderen, emanzipatorischen Umgang mit Kindern, das in jahrelangem Kampf gegen die Widerstände des Hamburger Senats durchgesetzt wurde. In der Zeit war HH das einzige LG-Mitglied, das Kinder zu erziehen und zu betreuen hatte.
Er war einer der ganz wenigen, die schon am Anfang unserer politischen Arbeit eine Familie gegründet hatten. Er stellte wie selbstverständlich die Forderung, dass sich andere an der Betreuung seiner Kinder beteiligen müssten, um ihm politische Arbeit zu ermöglichen, auch die, die ganz, ganz wichtige andere Aufgaben zu erledigen hatten. Kinderbetreuung war für ihn Gemeinschaftsaufgabe. Er praktizierte schon in den 70er Jahren, nach der Trennung von der Mutter seiner Töchter, ein Modell, dass diese wechselseitig bei ihm lebten, ein Verständnis der Vaterrolle, das erst 40 Jahre später langsam zur Normalität wird.
Sein politisches Kerngebiet war die Friedenspolitik, dies bis zu seinem Tod. Maßgeblich war er am Aufbau der Hamburger Friedenskoordination beteiligt, die einen großen Anteil an der Organisation aller großen Demonstrationen in den 80er Jahren hatte. Da bewies er wieder seine außerordentliche Fähigkeit, unterschiedliche politische Richtungen zusammenzubringen, aus 100 Stimmen einen Chor zu machen.
Und er war ein Ratgeber, ein sehr guter, weil er Genoss*innen zuhörte, Konflikte nicht nur politisch bewertete, sondern immer (auch) die menschliche Seite einbezog. Er war im besten Sinne empathisch. Das hat ihm großes Vertrauen eingebracht. Dass das Private (auch) politisch ist, wurde in den 70er Jahren von der feministischen Bewegung propagiert. Im KB wurde diese Parole zu einem Gegenstand der ersten Spaltung 1979. Nicht von ungefähr stand Hans-Hermann auf der Seite derjenigen, die nicht zwischen harten und weichen Politikfeldern unterscheiden wollten, sondern die Praxis, das Leben miteinander ebenso im Blick hatten.
Ja, er war Steuermann, nicht Kapitän. Störte ihn das? Wir haben darüber nie (ausdrücklich) gesprochen, nehmen aber aus dem Leben mit ihm an, dass ihn dies nicht bedrückt hat. Er hat selbstbewusst eine Rolle angenommen, die er für alle seine Weggefährt*innen mehr als gut ausgefüllt hat.
Er war ein leidenschaftlicher Fußballer. Er war der 6er, der heute in allen Sportsendungen gefordert wird. Den Angriff des Gegners blockieren und sofort zum Angriff übergehen. Auf dem Bolzplatz und im Hamburg-Eimsbütteler HEBC, und da war er Kapitän.
Was immer im Gedächtnis bleiben wird: der trockene Humor; begleitet von einem tiefen Lachen hinten im Hals, bis hinunter in den Bauch, auf dem verschränkt die Hände lagen; zurückhaltend, aber deutlich, wenn er sich gerade über seine Gegenüber amüsierte.
Leb wohl, Genosse.