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|ak 704 | Geschichte

Gewerkschaft ohne Kommunist*innen

In den 1970er Jahren schlossen GEW und Co. ihre Reihen gegen »politischen Extremismus«  – ein Klima des Misstrauens entstand

Von Marcel Bois

Auf dem schwarz-weiß Foto ist eine Szene aus den 1970er Jahren zu sehen. Es scheinen überwiegend Studierende zu sein, die in einem vollen Saal auf zwei Tafel blicken. Als ein Tagesordnungspunkt ist dort unter anderem "Gewerkschaftliche Unvereinbarkeitsbeschlüsse" aufgelistet
Jung, links und wütend auf die »Gewerkschaftsbonzen«: die 68er waren auf Konflikt getrimmt, viele wurden dafür mit einem Ausschluss betraft. Foto: W. Hermann (Fotostab am IfP - Institut für Publizistik FU Berlin) / Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Die Zeit um 1968 gilt gemeinhin als Phase eines linken Aufbruchs, als Startpunkt für das »rote Jahrzehnt«. Eingebettet in eine globale Protestbewegung entstanden in Deutschland die APO, die Studierenden- und eine Lehrlingsbewegung. In den frühen 1970er Jahren organisierten migrantische Beschäftigte »wilde Streiks«. Viele junge Menschen befanden sich auf der Suche nach politischen Alternativen. Sie schlossen sich den Jusos, der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) oder den zahlreichen neu entstandenen linksradikalen Gruppierungen an. Letztere wurden oftmals unter dem Label »K-Gruppen« zusammengefasst. Sie strebten die Überwindung des kapitalistischen Gesellschaftssystems an, meist orientierten sie sich dabei an Maos China.

All diese Entwicklungen spiegelten sich auch in den Einzelorganisationen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) wider. Allein in der ersten Hälfte der 1970er Jahre wuchs die Zahl ihrer Mitglieder um etwa eine Million. Zugleich war diese Zeit aber auch von Konflikten geprägt, die sich ebenfalls in den Arbeitnehmerorganisationen niederschlugen. Vor allem Mitglieder der K-Gruppen traten bei Gewerkschaftsversammlungen konfrontativ auf, was immer wieder zu Spannungen führte. Die jungen Linken kritisierten vermeintliche Kungeleien zwischen »Gewerkschaftsbonzen« und »Kapital« und setzten sich dafür ein, dass »klassenkämpferische Kollegen« in Betriebsräte gewählt wurden. Anknüpfend an die kommunistische »Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition« (RGO) der Weimarer Republik kandidierten sie bei Betriebsratswahlen in der Industrie auf eigenständigen Listen – gegen die DGB-Gewerkschaften. In West-Berlin, Hamburg, Köln, Kiel, Bremen und im Ruhrgebiet konnten sie mit dieser Herangehensweise in manchen Großbetrieben Achtungserfolge erzielen.

Erste Unvereinbarkeitsbeschlüsse

Die beiden Industriegewerkschaften IG Metall und IG Druck und Papier werteten dieses Vorgehen als gewerkschaftsschädigendes Verhalten und verabschiedeten im Frühjahr 1973 Unvereinbarkeitsbeschlüsse gegen die entsprechenden Organisationen. Wer denen angehörte, durfte fortan also nicht mehr Gewerkschaftsmitglied sein. Ein halbes Jahr später, bei einer Sitzung vom 1. bis 3. Oktober 1973, diskutierte auch der DGB-Bundesvorstand über den Umgang mit dem »politischen Extremismus«, vor allem jenem von links: Die »Tätigkeit für oder die Unterstützung von linksextremen Parteien, Vereinigungen oder Gruppierungen« sei »unvereinbar mit der Mitgliedschaft in einer DGB-Gewerkschaft«. Gemeint waren in erster Linie die K-Gruppen, allen voran die Kommunistische Partei Deutschlands/Aufbauorganisation (KPD/AO, ab Juli 1971: KPD), die Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML) und ab 1974 auch der Kommunistische Bund Westdeutschland (KBW). Der Bundesvorstand forderte alle Mitgliedsgewerkschaften auf, den Grundsatzbeschluss in den eigenen Organisationen umzusetzen.

Auf Grundlage der Beschlüsse wurden mindestens 850 Mitglieder aus den DGB-Gewerkschaften ausgeschlossen.

Insgesamt wurden auf Grundlage der Beschlüsse mindestens 850 Mitglieder aus den DGB-Gewerkschaften ausgeschlossen, die meisten davon aus der IG Chemie-Papier-Keramik, der IG Metall, der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Hinzu kamen mindestens 300 Personen, die zwischen 1960 und 1982 wegen der Kandidatur auf fremden Betriebsratslisten ihre Gewerkschaft verlassen mussten.

Diese Ausgrenzung der K-Gruppen-Mitglieder führte über Jahre hinweg zu lähmenden Kontroversen innerhalb der Gewerkschaften. Dies zeigt ein Blick auf die GEW, für die die Geschichte der Unvereinbarkeitsbeschlüsse besonders gut erforscht ist. Die Gewerkschaft war durch die Bildungsexpansion der 1960er Jahre massiv gewachsen. Viele junge Lehramtsstudierende traten ihr bei und brachten eine neue politische Kultur ein.

Trotzdem war der Umgang mit den jungen linken Mitgliedern in der GEW zunächst ein anderer als der in den Industriegewerkschaften. Der Vorsitzende Erich Frister bemühte sich lange Zeit darum, sie zu integrieren, und propagierte eine »aktive Toleranz« innerhalb der Organisation – auch wenn ihn konservative Presse und Parteien, zum Teil aber auch ältere GEW-Mitglieder, dafür scharf angingen. Unter diesem Druck änderte die GEW-Führung langsam ihre Haltung gegenüber den Linken. Im Januar 1974 fasste dann der Hamburger Landesverband einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber einigen kommunistischen Gruppen.

Von zentraler Bedeutung waren dabei die Auseinandersetzungen um den Radikalenbeschluss von Bund und Ländern aus dem Jahr 1972, auf dessen Grundlage vermeintliche »Verfassungsfeinde« aus dem öffentlichen Dienst ferngehalten werden sollten. Die GEW, die den Radikalenbeschluss ablehnte, geriet in die Kritik und versuchte, ihre eigene Verfassungstreue nachzuweisen. Dies sollte durch eine klare Trennlinie zu den K-Gruppen erfolgen, während Mitglieder der DKP in der Gewerkschaft akzeptiert wurden, obwohl auch sie unter den Radikalenbeschluss fielen. Das lag vor allem am Agieren der DKP: In der Regel trugen ihre Mitglieder gewerkschaftliche Beschlüsse mit, stellten keine eigenen Listen auf und bekannten sich im Gegensatz zu den K-Gruppen zum Grundgesetz.

Ausgehend von dem Hamburger Landesverband verabschiedete schließlich die Bundesorganisation der GEW einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber den K-Gruppen – auch auf Druck  des DGB, der andernfalls mit einem Ausschluss aus dem Dachverband drohte.

Kommunist*innenjagd

Seit Mai 1975 beriet sich der GEW-Hauptvorstand auf nahezu jeder Sitzung über Maßnahmen gegen Mitglieder, die vermeintlich gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss verstoßen hatten. In den kommenden drei Jahren wurden fast 300 Personen ausgeschlossen. Mehr als 80 Prozent von ihnen waren zwischen 20 und 35 Jahre alt, was die generationelle Dimension dieses Konfliktes unterstreicht. Bis heute stehen die Ausgeschlossenen im Fokus der Auseinandersetzungen über die Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Dabei wird allerdings oft übersehen, dass die GEW auch noch zu anderen Sanktionen griff: Sie verweigerte linksradikalen Mitgliedern auch den Rechtsschutz oder nahm Personen gar nicht erst auf, die im Verdacht standen, eine K-Gruppe zu unterstützen.

Das gesamte Verfahren entwickelte eine Eigendynamik – mit Folgen, die die Handelnden nicht vorhergesehen hatten. So wurden auch Menschen ausgeschlossen, die lediglich auf einer kommunistischen Liste für ein Studierendenparlament kandidiert oder angeblich Flugblätter einer linken Gruppe verteilt hatten. Bereits als gewerkschaftsschädigend galt, wenn eine GEW-Gliederung ein ausgeschlossenes Mitglied an einer Gewerkschaftsveranstaltung teilnehmen ließ. Es entstand ein Klima des Misstrauens, eine Verhärtung und Frontenbildung. Einen Höhepunkt erreichten diese innergewerkschaftlichen Verwerfungen im September 1976, als der West-Berliner Landesverband nicht die notwendige Dreiviertelmehrheit zusammenbekam, um die Bundessatzung mit den Unvereinbarkeitsbeschlüssen zu übernehmen, und deshalb aus der GEW ausgeschlossen wurde.

Gegen diese Stimmung wehrten sich viele jüngere Mitglieder, auch wenn sie K-Gruppen kritisch sahen. Sie wollten den Konflikt politisch und nicht administrativ lösen. Dies führte dazu, dass sich die GEW Ende der 1970er Jahre von der Ausschlusspraxis verabschiedete. Zehn Jahre später hob sie die Regelungen auf. Hierbei spielte auch eine Rolle, dass es im sozialdemokratischen und liberalen Spektrum zu einem Stimmungswandel bezüglich des Radikalenbeschlusses gekommen war. Administrative Maßnahmen galten nun als falsche Antwort auf die Radikalisierung junger Menschen. Außerdem befanden sich die K-Gruppen selbst in einer Krise; die meisten lösten sich bald auf.

Aufarbeitung

Mittlerweile hat die GEW die Geschichte ihrer Unvereinbarkeitsbeschlüsse wissenschaftlich aufarbeiten lassen. Sie bezeichnet die Praxis der 1970er Jahre als Fehler und hat die Betroffenen von damals um Entschuldigung gebeten. Auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di stellte sich zuletzt ihrer Vergangenheit. Beim Gewerkschaftstag 2019 erklärte sie ihr Bedauern über die Aufnahme der Unvereinbarkeitsbeschlüsse in die Satzungen der Gründungsorganisationen von ver.di. Die Beschlüsse würden »grundlegend dem Gedanken der Einheitsgewerkschaft« widersprechen.

Ausgehend vom Hamburger Landesverband verabschiedete die Bundesorganisation der GEW einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber K-Gruppen.

Der Hamburger Landesverband von ver.di hat kürzlich eine erste kleinere Untersuchung zu den Vorgängen in der IG Druck und Papier, einer Vorgängerorganisation, in Auftrag gegeben. Erste Sichtungen des Archivmaterials weisen darauf hin, dass hier bundesweit etwa 80 Personen ausgeschlossen wurden. Genau wie in der GEW war die Hamburger Organisation Vorreiterin in dem Prozess. Sie initiierte nicht nur den Beschluss, sondern hier wurden auch die meisten Personen ausgeschlossen, nämlich knapp 30. Darunter befanden sich auch zehn Mitglieder des Kommunistischen Bundes, jener Organisation, die damals den Arbeiterkampf herausgab, also die Vorgängerzeitschrift der ak.

In der IG Metall sind die Unvereinbarkeitsbeschlüsse der 1970er Jahre hingegen noch immer in Kraft. Zwar hat die Gewerkschaft nicht mehr existierende Gruppen aus den Listen gestrichen, aber die maoistische MLPD steht weiterhin darauf. Anträge, die Unvereinbarkeitsbeschlüsse grundsätzlich aufzuheben, fanden bei mehreren Gewerkschaftstagen keine Mehrheiten.

Marcel Bois

ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehört die Geschichte des Kommunismus in der Zwischenkriegszeit.