Generation Finanzkrise analysiert zurück
Grace Blakeleys zugänglich verfasste Analyse des Nachkriegskapitalismus ist auf Deutsch erschienen
Von İnci Arslan
Als Lehman Brothers Pleite ging, war Grace Blakeley 15 Jahre alt – viel wurde danach über die sogenannten Millennials herumphilosophiert. Ein Jahrzehnt später analysiert die Generation Finanzkrise zurück und kaum eine macht es so elegant und sachverständig wie die junge britische Ökonomin. In »Stolen: How to Save the World from Financialisation«, das 2019 im Original erschien, schreibt Blakeley verständlich, in einer Sprache, die sich an ein Massenpublikum richtet, eine Geschichte des Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg und zwar als Vorgeschichte der Finanzkrise.
Jetzt ist das Buch auf Deutsch erschienen – im Brumaire-Verlag, der auch das deutschsprachige Jacobin-Magazin herausgibt. Blakeley erklärt, warum der im Globalen Norden sozialdemokratisch, keynesianistisch geprägte Nachkriegsboom an den Widersprüchen, die er hervorbrachte, scheiterte (und scheitern musste, weshalb ein Zurück keine Option ist) und inwiefern das, was danach geschah, zum Crash von 2007/ 2008 führte. Die 1970er Jahre, so Blakeley, änderten alles: Mit dem Ende von Bretton Woods und der zunehmenden Krise der Sozialpartnerschaft vor allem in Großbritannien, die sich im Streik-Winter 1979 (Winter of Discontent) manifestierte, sahen die Neoliberalen – bis dahin als radikale Spinner eher isoliert – ihre Chance, die in der Nachkriegszeit etablierten Beschränkungen des Finanzsektors einzureißen und ergriffen diese mithilfe Margaret Thatchers, die 1979 Premierministerin des UK wurde.
Wie der sozialdemokratische Klassenkompromiss scheiterte, so musste auch dieses von den 1980er bis 2007 anhaltende Wachstumsmodell irgendwann an Grenzen geraten.
Was folgte war eine massive – von Blakeley gekonnt beschriebene – Finanzialisierung der Wirtschaft, die wiederum neue Widersprüche hervorbrachte. Wie der sozialdemokratische Klassenkompromiss scheiterte, so musste auch dieses von den 1980er bis 2007 anhaltende Wachstumsmodell irgendwann an Grenzen geraten. In der zweiten Hälfte ihres Buches zeichnet Blakeley nach, was beim Crash geschah und wie fatal der Umgang mit der darauffolgenden Krise war. Nebenbei macht die Autorin transparent, was sie unter Dialektischem Materialismus und Kritik der Politischen Ökonomie versteht und gibt damit einen Einblick in verschiedene Lesarten von Marx, um schließlich ein Programm zu umreißen, das etwa die Vergesellschaftung des Finanzwesens umfasst. Wie gesagt: Das Buch ist, auch in der deutschen Fassung, ausgesprochen leserfreundlich, alles wird erklärt, machmal etwas redundant, aber das hilft nur der Verständlichkeit – und so eignet es sich auch dafür, Menschen, die noch keine überzeugten Sozialist*innen sind, davon zu überzeugen, dass der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte ist.
Grace Blakeley: Stolen – So retten wir die Welt vor dem Finanzkapitalismus. Brumaire Verlag, Berlin 2021. 404 Seiten, 18 EUR.