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|ak 665 | Alltag |Reihe: Alltagstest

Gendermarketing

Von Elena Schmidt

Mit Joe Biden zieht ein Mann ins Weiße Haus ein, der trans Menschen als Teil seines politischen Lagers sieht und sie ausdrücklich in seiner Siegesrede benennt. Er steht damit im scharfen Kontrast zu seinem Vorgänger Donald Trump, dessen Haltung uns gegenüber sich durchgehend in Repressionen geäußert hat. Die nächste Legislaturperiode mit Biden dürfte eine Entspannung für trans Leute bedeuten, sollte man meinen. Bidens designierte Vizepräsidentin Kamala Harris lässt in ihrer Twitterpräsenz sogar die Pronomen für ihre Anrede anzeigen und übernimmt damit eine gängige Praxis aus dem Transaktivismus bzw. Queerfeminismus.

Dass diese Optik einer progressiven Haltung gegenüber trans Menschen positive Resonanz findet, ist verständlich. Es wäre jedoch ein Fehler, sich anhand der aktuellen Lippenbekenntnisse in Sicherheit zu wiegen. Denn während die einen bereits beginnen, Harris zum feministischen Girl Boss zu stilisieren, gehen Erinnerungen an ihre frühere Karriere unter: Harris verteidigte als Generalstaatsanwältin die Entscheidung, einer in einem Männergefängnis (!) festgehaltenen trans Frau medizinische Behandlung vorzuenthalten. Ein optimistischer Teil von mir will glauben, dass all die Leute, die sich über Harrisʼ Vizepräsidentschaft freuen, davon nichts wissen und ihr Handeln für verwerflich halten würden, wenn sie davon erführen. Der weniger optimistische Teil liest transfeindliche »feministische« Kommentare zwischen den aus Unwissenheit entstandenen Lobgesängen und stellt sich auf vier schwierige Jahre ein.

Dass vordergründige Akzeptanz benutzt wird, um repressives Verhalten zu übertünchen, ist nichts Neues. Dass diese Praxis sich nun auch auf trans Leute bezieht, hingegen schon.

Die Vermarktung transspezifischer Narrative wurde jüngst im Zuge der Starbucks-Werbekampagne #WhatsYourName auch nach Deutschland getragen. In trans Kreisen ist lange bekannt, dass die Marke das »Austesten« von Namen ermöglicht: Wenn man dem Personal nur den Vornamen zur Verfügung stellt, den es dann auf den Becher schreibt, kann es eine*n auch nur mit diesem Namen ansprechen. Von der Firma ist das nicht beabsichtigt, das Personal wurde nicht besonders geschult. Der »Verdienst« an der trans Community ist vollkommen zufällig. Wenn die Marke Starbucks diese Tatsache an die große Glocke hängt, um ihr Image aufzupolieren, dann sollten wir nicht darauf hereinfallen. Stattdessen sollten wir auf transfeindliche Skandale aufmerksam machen, etwa dass trans Mitarbeiter*innen in Starbucksfilialen – ironischerweise – nicht mit ihren tatsächlichen Namen angesprochen werden. Daran ändert auch der limitierte Spendenkeks in den Farben der Transflagge nichts.

Nieder mit dem Regenbogenkapitalismus, nieder mit queeren Eigenbrötlern und nieder mit der Zweigeschlechtlichkeit!

Weiße, attraktive und binärgeschlechtliche trans Männer und Frauen, deren Chancen auf baldige Akzeptanz durch die Mehrheitsgesellschaft am größten ist, fressen Starbucks dagegen brav aus der Hand. Für trans Menschen, die cis Leuten nicht unbequem werden und sich auch dann bedanken, wenn man nichts für sie getan hat, gibt es immer ein Plätzchen. Sie sind die »neuen Schwulen« der Community: Die demografische Sparte, deren Aufnahme in den Status quo am wenigsten Veränderung bedeuten würde – und deren Inklusion auf Kosten aller anderen Sparten gehen wird. So wie sich sexuelle Minderheiten ab dem Moment ihrer Akzeptanz im Mainstream umdrehten und von diesen »komischen Transsexuellen« abgrenzten, werden trans Frauen und Männer ihre Normalität betonen und nichtbinäre Menschen an ihrem Platz in der Ecke der Gesellschaft allein lassen.

Wenn wir die Fehler des letzten Jahrhunderts nicht wiederholen und nicht über Generationen immer wieder nur einzelne queere Identitäten salonfähig machen wollen, dürfen wir uns nicht mit Scheinakzeptanz zufriedengeben, während unsere Geschwister mit Füßen getreten werden. Nur eine Community, die über den Horizont ihres exakt vermessenen Eigeninteresses hinausschaut, kann ihrem Anspruch gerecht werden. Nieder mit dem Regenbogenkapitalismus, nieder mit queeren Eigenbrötlern und nieder mit der Zweigeschlechtlichkeit!

Elena Schmidt

Elena Schmidt, 24, ist trans und glücklich verlobt.