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Für einen eigenen Staat

Die palästinensische Linke setzte nach 1948 auf den panarabischen Nationalismus, während der politische Islam die Oberhand gewann (Teil 2)

Von Anselm Schindler

Zwei Frauen mit Uniformen halten ein Banner an Stöckern hoch, hinter ihnen Frauen in Uniformen im Gleichschritt, dahinter Hochhäuser, neben den Frauen am Straßenrand Schaulustige
Panarabismus als Klammer: Aufmarsch der Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas in Beirut, Libanon 1979. Foto: Tiamat / Wikimedia, CC BY-SA 3.0 DEED

Im Mai 1943 zerbrach die Palästinensische Kommunistische Partei (PKP) in zwei Teile: einen zionistischen und einen arabisch-nationalistischen. Die Ursache sehen viele palästinensische Linke in der ethnischen Spaltung. Die zionistische Bewegung schuf eine geteilte Arbeiter*innenklasse.

Der erste gemeinsame Gehversuch arabischer und jüdischer Linker in Palästina war Geschichte und der arabische Teil der Partei gründete die linksnationalistische Nationale Befreiungsliga (NBL). Währenddessen tobte in Europa, Asien und Afrika der Zweite Weltkrieg und mit ihm die industrielle Vernichtung von jüdischen Menschen durch die Nazis und ihre Verbündeten. Die meisten Überlebenden der Shoah wollten nicht in Europa bleiben; viele wanderten nach Palästina aus. Ein Teilungsplan der UNO für Palästina sah 1947 vor, dass rund 56 Prozent des Landes an den im Entstehen begriffenen israelischen Staat gehen sollten – das zu einem Zeitpunkt, zu dem nur rund sechs Prozent des Landes in der Hand jüdischer Siedler*innen war.

Grenzen spalten die Linke

Auf Grundlage des Teilungsplans wurde im Mai 1948 der israelische Staat ausgerufen, der allerdings von den arabischen Nachbarstaaten nicht anerkannt wurde, weil sie ihn als westliches imperialistisches Projekt sahen. Unmittelbar nach der Staatsgründung rückten die Armeen Ägyptens, Jordaniens, des Libanons, des Iraks und Syriens auf israelisches Staatsgebiet vor. Der ausbrechende Krieg kostete rund 15.000 Menschen das Leben und eskalierte die systematische Vertreibung von Palästinenser*innen, die auch als Nakba (arabisch für Katastrophe) bezeichnet wird. Im Verlauf des Konflikts besetzten israelische Einheiten etwa 40 Prozent des Territoriums, das die UN für die arabische Bevölkerung vorgesehen hatte, und setzten arabische Dörfer in Brand. Etliche arabische Flüchtende, die versucht hatten zurückzukommen, wurden erschossen.

Mit der Staatsgründung wurde aus der seit der Spaltung rein jüdischen Palästinensischen Kommunistischen Partei die Israelische Kommunistische Partei (Maki), zu der dann auch diejenigen arabischen Funktionär*innen dazustießen, die nicht wegen der Staatsgründung geflohen waren. Ohne weiter auf die Entwicklung der Linken in Israel einzugehen, sei erwähnt, dass die Maki nach Spaltungen und Neuformierungen bis heute existiert und als Teil der sozialistischen Listenverbindung Chadasch dazu beiträgt, dass arabische und jüdische Linke in Israel auf zivilgesellschaftlicher und parlamentarischer Ebene zusammenarbeiten.

1967 veränderte der Sechstagekrieg die Landkarte des gesamten Nahen Ostens nachhaltig. Bis zu 30.000 Palästinenser*innen wurden durch die israelische Armee in den benachbarten Libanon vertrieben, wo bereits mehrere Zehntausend von ihnen unter teils elenden Bedingungen in Flüchtlingslagern lebten. Neben Wasserknappheit und bitterer Armut herrschte in den Camps viel Wut über Vertreibung und Krieg. Und so formierte sich in den Lagern der militanteste Teile der palästinensischen Linken. Ihre wichtigste Organisation war die kommunistische Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), deren Fahne in der beginnenden weltweiten 68er-Bewegung zu einem der wichtigsten Symbole internationaler Solidarität wurde.

Bereits in den Jahren zuvor war unter der Schirmherrschaft der ägyptischen Regierung unter Gamal Abdel Nasser mit der Palestine Liberation Organization (PLO) ein Dachverband aller säkularen palästinensischen Organisationen gegründet worden, zu dem auch die PFLP stieß. So wie heute war die Fatah die stärkste Kraft der Organisation bei ihrer Gründung. Ihr bekanntestes Gesicht war Jassir Arafat. Hatte die PFLP als leninistischer Organisationsapparat von Beginn an eine straffe Linie mitsamt Fraktionsverbot, sammelten sich in der Fatah allerlei sozialistische bis sozialdemokratische Kräfte, die von einem teils diffusen arabischen Nationalismus und einem recht vulgären Antiimperialismus zusammengehalten wurden.

Brüche und Spaltungen

Die PFLP sah sich seit ihrer Gründung als Avantgarde-Partei einer weltweiten revolutionären Bewegung gegen Kolonialismus, Imperialismus und für den Aufbau einer sozialistischen Alternative. Sie arbeitete in den Jahrzehnten nach ihrer Gründung eng mit linken bewaffneten Gruppen in aller Welt zusammen, beispielsweise mit der Roten Armee Fraktion in Deutschland oder der Japanischen Roten Armee. In den teils spektakulären gemeinsamen Aktionen kamen auch viele Zivilist*innen um. Teils zielten sich die Aktionen auch direkt auf die Zivilbevölkerung ab, was der PFLP und ihren Verbündeten auch in Teilen der Linken massive Kritik einbrachte.

Die marxistisch-leninistische PFLP kämpfte in den 1960er und 1970er Jahren nicht nur gegen den israelischen Staat, sondern auch gegen die reaktionären arabischen Staaten, und kam dabei mit dem jordanischen Königshaus in Konflikt. Im ausbrechenden jordanischen Bürgerkrieg zwischen palästinensischen Gruppen und der staatlichen Armee waren viele linke Palästinenser*innen an den Aufständen beteiligt, die im September 1970 in der Ausrufung einer Volksregierung gipfelten. Das Königshaus massakrierte daraufhin 20.000 tatsächliche oder vermeintliche Aufständische und vertrieb nicht nur die PFLP, sondern die gesamte PLO aus dem Land, die dort ihre Machtbasis gehabt hatte. Die PLO floh in den Libanon, wurde dort aber 1982 durch den Einmarsch Israels erneut in die Flucht geschlagen. Während sich die PLO-Führung nach Tunis absetzte, verschlug es die PFLP nach Damaskus, wo sie seither vom syrischen Regime geduldet wird, aber auch unter dessen Einfluss steht.

1967 veränderte der Sechstagekrieg die Landkarte des gesamten Nahen Ostens nachhaltig.

In den Jahren nach der Gründung hatten sich mehrere Organisationen von der PFLP abgespalten. Die bedeutendste darunter ist die DFLP, die Demokratische Front für die Befreiung Palästinas. Zwar unterhält die DFLP auch einen bewaffneten Arm, fokussiert sich aber stärker auf Basisarbeit und den Aufbau von Massenorganisationen. Im Gegensatz zur PFLP tauscht sich die DFLP auch stärker mit der israelischen Linken aus. Vor allem zur antizionistischen israelischen Organisation Matzpen gab es langjährige Kontakte; das letzte Treffen zwischen den prominentesten Mitbegründern beider Organisationen, Nayef Hawatmeh und Haim Hanegbi, fand 1998 statt.

Krieg der Steine

1987 begann der »Krieg der Steine«, wie die erste Intifada oft bezeichnet wird. Palästinensische Linke waren federführend an den Aufständen beteiligt, aber auch islamistische Kräfte schlugen aus den Spannungen Kapital: Kurz nach den Aufständen gründete sich in Gaza die Hamas, der palästinensische Zweig der Muslimbruderschaft. Damit begann ein Aufstieg, der bis heute andauert. Die Entstehung der Hamas wurde von der damaligen israelischen Likud-Regierung wohlwollend betrachtet, weil er die säkulare PLO schwächte, die man als hauptsächliche Gegnerin ausmachte. Mit dem Niedergang der Sowjetunion verlor die palästinensische Linke nicht zuletzt auch ihren finanziellen Rückhalt.

1993 unterzeichneten PLO und Israel das Osloer Friedensabkommen. PLO und Fatah wurden damit als legitime Vertreterinnen der Palästinenser*innen anerkannt. Sie erhielten damit auch gleichzeitig ihre Macht, die durch die Streiks und jugendlichen Aufstände während der ersten Intifada von unten in Frage gestellt wurde. Während das Osloer Abkommen von vielen Menschen weltweit als Meilenstein innerhalb des Friedensprozesses angesehen wurde, werteten es viele palästinensische Linke als Niederlage, zementierte es doch die Teilung des historischen Palästina und die Unterordnung unter die Militärmacht Israel. Die Annäherung  zwischen PLO und Israel führte auch bei den Gegner*innen der Normalisierung des Verhältnisses zu einem Zusammenrücken. Die ehemaligen Feinde PFLP und die radikalislamische Hamas fanden sich auf einmal in einem gemeinsamen Lager wieder: dem der marginaler werdenden verbleibenden Fundamentalopposition gegenüber dem israelischen Staatswesen an sich.

Volksfrontstrategie

Die PFLP sieht den Kampf um die nationale Befreiung bis heute im Kontext einer größeren arabisch-nationalistischen Bewegung gegen westlichen Kolonialismus und Imperialismus und den israelischen Staat als deren Vorposten. Ihre panarabische Stoßrichtung hat sie bis heute nicht aufgegeben. Das macht sie eigentlich zu einem natürlichen Feind des politischen Islam, denn arabischer Nationalismus und politischer Islam, besonders in seinen radikalen Ausformungen stehen sich eigentlich diametral entgegen: Wo arabisch-nationalistische Bewegungen an die Macht kamen, wurden islamistische Kräfte zumeist unterdrückt – wie unter Hafiz und Baschar al-Assad in Syrien oder Saddam Hussein im Irak. Diese ideologische und politische Feindschaft galt lange auch für Hamas und PFLP sowie für andere palästinensische Linke. Seit dem Erstarken des politischen Islam, der auch vom Niedergang der Linken und der Krise des Panarabismus begünstigt wurde, hat sich dieses Verhältnis verändert.

Die langfristigen Ziele von PFLP und Hamas unterscheiden sich komplett.

Die palästinensische Linke schrumpfte in den letzten Jahrzehnten von einer treibenden zu einer marginalisierten Kraft, die sich an arabische Regime und andere Bewegungen hängen musste, um zu überleben. Die langfristigen Ziele von PFLP und Hamas unterscheiden sich komplett: Erstere will ein multiethnisches und multireligiöses, aber säkulares Palästina, in dem laut dieser Definition auch Jüdinnen und Juden sowie Christ*innen gleichberechtigt leben. Zweitere will einen muslimischen Gottesstaat – die Beteuerung führender Hamas-Funktionäre, dass sie mit Jüdinnen und Juden sowie Christ*innen eigentlich gar kein Problem hätten, ist mindestens fragwürdig. Die Gemeinsamkeit von PFLP und Hamas ist das Etappenziel: ein Sieg über Israel und die Erringung eines palästinensische Staates.

Dieser Minimalkonsens ist wahrscheinlich auch der Grund, warum die PLFP auch am 7. Oktober Teil des Angriffs aufseiten der Hamas war. Gleichzeitig bleiben die Gruppen politische Konkurrentinnen, um die soziale Basis ihrer Projekte. Inzwischen ist auch die DFLP, die die Hamas bis in die 1990er noch scharf verurteilt und Friedensverhandlungen mit Israel zwischenzeitig offener gegenübergestanden hatte, auf diesen Kurs eingeschwenkt. Nur durch den bewaffneten Sieg des Widerstands gegen die Besatzung könne der Grundstein für den weiteren Kampf für ein sozialistisches Palästina gelegt werden, erklärte ein DFLP-Sprecher nach den Massakern vom 7. Oktober 2023 gegenüber der jungen Welt.

Wie dieser »Sieg« angesichts der absoluten Übermacht des hochgerüsteten israelischen Staates gelingen soll, ist fragwürdig. Noch fragwürdiger ist, wie ein Massaker an Zivilist*innen mit der Idee eines sozialistischen Gemeinwesens zusammenpassen soll, das jenseits der Religionszugehörigkeit allen in der Region offenstehen soll. Der 7. Oktober hat zudem diejenigen kritischen Teile der israelischen Bevölkerung abgeschreckt, die Partei für unterdrückte Palästinenser*innen ergreifen würden. All das erklärt der Sprecher nicht.

Anselm Schindler

ist im Netzwerk Defend Kurdistan und bei der Kommunistischen Partei Österreich (KPÖ) aktiv und schreibt regelmäßig zu internationalen Konflikten.

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