Freiheitsgrade
Aufgeblättert: »Bleibefreiheit« von Eva von Redecker
Die Schwalben im Himmel, ein umgepflügter Boden unter den Füßen spaziert Eva von Redecker von der »Marsmännchenfreiheit« zur »Bleibefreiheit« – und ihr Lesepublikum nimmt sie in zugänglicher, fast hierarchiefreier Sprache mit. In Etappen umkreist die Theoretikerin philosophisch den Begriff der Freiheit, zeichnet die langen Linien der politischen Theorie, Literatur und Geistesgeschichte von Platon und Hobbes über Arendt und Davis zu Sophie Lewis und Co. nach, erklärt, wie sich negative und positive Freiheit unterscheiden. Persönliche Episoden, etwa die intime Schilderung des Umgangs mit dem sterbenden Vater, wechseln sich ab mit der Analyse aktueller, wenig bekannter Denkströmungen wie etwa des Longtermism. Im Zentrum stehen Annäherungen an Freiheit und wie sie jenseits des seine eigenen Lebensgrundlagen zerstörenden Besitzindividuums verstanden werden soll. Die wichtigste Verschiebung gelingt von Redecker durch die Orientierung weg von räumlich konzipierter hin zur zeitlich gefassten Freiheit: Nicht die expansive, destruktive Aneignung von Raum durch Wenige, sondern das Gewähren und Verweilen für Alle stecken im Kern der eigens geschaffenen »Bleibefreiheit«. Diese vermag sowohl auf Flucht und Klimakatastrophe als auch auf Ökosozialismus und Liebe eine neue gesellschaftliche Perspektive zu eröffnen. So einladend und tröstlich diese Figur der »Bleibefreiheit« – das Pathos bei Geburt und Mütterlichkeit, Dankbarkeit und Natur rutscht stellenweise ab in linksliberalen Kitsch und bleibt halb: Schwärmerei.
Eva von Redecker: Bleibefreiheit. S. Fischer, Frankfurt am Main 2023. 160 Seiten, 22 EUR.