Frauen im antikolonialen Widerstand
Im Interview spricht die Regisseurin Mable Preach über vergessene Vorbilder und verlorenes Wissen
Interview: Carina Book
In ihrem neuesten Stück »Embrace your crown« geht Mable Preach auf eine biografisch-historische Spurensuche nach weiblichen Akteurinnen im antikolonialen Widerstand. Eine Suche, die Stoff für hunderte Stücke hergäbe, weil so vieles bisher unerzählt blieb.
Was erwartet die Besucher*innen an einem Abend auf dieser Spurensuche?
Die Zuschauer*innen dürfen sich darauf freuen, Heldinnen des afrikanischen Kontinents kennenzulernen. Die meisten werden ihnen unbekannt sein, denn in europäischen Schulbüchern haben sie bis heute keinen Platz bekommen. Darin liest man die Geschichte immer nur aus einer Perspektive – man lernt nur eine Wahrheit kennen. Wenn man nicht zufällig in afrikanischen Ländern unterwegs war, wird man diese Geschichten noch nie gehört haben. Die Recherche für das Stück war selbst für mich absolut Augen öffnend, weil es so viele beeindruckende Persönlichkeiten gibt und gab. Es wurde schnell sehr deutlich, wie viel wir eigentlich nicht wissen – wie viel ich eigentlich nicht weiß.
Wer kommt in »Embrace your crown« zu Wort?
Zum Beispiel Nana Yaa Asantewaa ist die eine der krassesten Frauen, von der ich jemals gelesen habe. Sie hat den letzten großen Widerstand gegen die Briten angeführt. Als die Männer in ihrem Dorf kapituliert haben, ist sie aufgestanden und hat eine Ansage gemacht: »Ich muss sagen: Wenn sie, die Männer von Ashanti, nicht vorankommen wollen, dann werden wir es tun. Wir, die Frauen, werden es tun. Ich werde meine verbündeten Frauen zum Kampf aufrufen. Wir werden die weißen Männer bekämpfen. Wir werden kämpfen, bis die Letzte von uns auf den Schlachtfeldern fällt.« Für meine Recherche war ich in einem Museum in Ghana, wo auch eine Statue von Nana Yaa Asantewaa in Lebensgröße steht. Das war wirklich ein zartes Persönchen, einen Meter sechzig groß und ganz schmal – ich war unglaublich beeindruckt, mit welcher Power sie voran gegangen ist.
Wo fängt man an, nach diesen Geschichten zu suchen?
Eigentlich überall. Ich war in Ghana, habe das Internet durchwühlt, aber ich habe auch mit vielen Familien gesprochen. Ich war beispielsweise bei einer Familie aus Angola, weil mich interessiert hat, ob es dort eigentlich das Wissen über diese Widerstandsgeschichten gibt. Die Kinder wussten nichts darüber, aber bei den Eltern wurden die Augen beim Erzählen immer größer und größer vor Stolz, darüber sprechen zu können. Und dann gibt es diese verrückte Gleichzeitigkeit: Auf der einen Seite werden diese Geschichten nicht erzählt, und andererseits kommen sie dann in Filmen doch vor, werden aber immer als reine Fiktion dargestellt.
An was denkst du da?
In dem Film Black Panther kommt beispielsweise eine Frauenarmee vor. Sie ist den N’Nonmiton, oder Amazonen von Dahomey, wie die Europäer sie nannten, nachempfunden. Das wird aber in dem Film nicht deutlich. Und so ist es bei vielen dieser Geschichten, dass sie fragmentarisch zwar Eingang in Kunst und Kultur gefunden haben, aber nie explizit.
Mable Preach
ist Musik- und Tanzregisseurin, die vor allem mit jungen Darsteller*innen arbeitet. Sie ist Vorstandsmitglied und künstlerische Leiterin des Vereins Lukulule e.V.. Darüber hinaus wirkt sie im Festival-Kollektiv formation now mit. Ihr neues Stück »Embrace your crown« ist ab dem 23. September auf Kampnagel in Hamburg zu sehen.
Die Inszenierung findet an einer Tafel statt. Ist das eine Persiflage auf die Berliner Konferenz von 1884/85, wo weiße Männer an der Tafel saßen und mit dem Lineal den afrikanischen Kontinent unter sich aufteilten?
Ja, die Inszenierung knüpft daran an und ist die Weiterführung des Projektes »The promised Land«, das ich vor drei Jahren gemacht habe. Damals haben wir die Geschichte sehr plakativ umgedreht: Schwarze Menschen standen um einen Tisch herum und haben einfach mal Europa aufgeteilt. Europa war auf eine Torte gedruckt, die dann ganz wild aufgeschnitten und aufgegessen wurde. Die Tafel-Inszenierung knüpft aber auch an das Abendmahl mit Jesus an.
Homofeindlichkeit und Patriarchat sind Dinge, die die Kolonisatoren mit dem christlichen Glauben eingeführt haben.
Wie kommt dieser Bezug zu Stande?
Das ist noch so eine unglaubliche Erkenntnis aus der Recherche für das Stück: Ich bin irgendwann auf Nzinga von Ndongo und Matamba gestoßen. Sie war im 17. Jahrhundert eine Königin, um die herum sich das heutige Angola herausgebildet hat. Nzinga hatte neun Männer, die auch sexuelle Verhältnisse untereinander hatten. Die Jugendlichen, mit denen ich arbeite, würden sagen: Sie war ein Boss-Chick. Jedenfalls habe ich meiner Mutter von Nzinga erzählt und sie hatte zwar Verständnis für Homosexualität, aber sie sagt immer: Das gehört nicht zu Afrika. Und da ist mir nochmal sehr deutlich geworden, dass Homofeindlichkeit und Patriarchat auch Dinge sind, die die Kolonisatoren mit dem christlichen Glauben eingeführt haben.
Es ist auch in vielen Gemälden sichtbar, dass Homoerotik erst später durch die Kirche tabuisiert wurde.
In den Gemälden, die nach der Kolonisierung entstanden sind, sieht man plötzlich auch oft knieende Frauen. Das kommt daher, dass der weiße Mann irgendwann mit seiner Bibel ankam und behauptet hat, er sei das Ebenbild Gottes.
Eine Nummer kleiner ging es wohl nicht…
Das war die prägende Vorstellung für die Hierarchie: Der weiße Mann soll also das Ebenbild Gottes sein. Danach kommt dann die weiße Frau, danach der Schwarze Mann und erst dann die Schwarze Frau. Malcom X hat sehr deutlich gesagt, dass die meistgehasste Person der Welt die Schwarze Frau ist. Und durch diese Recherche wurde mir klar, woher das kommt. Dieser Erkenntnisprozess, das Lesen, Auseinandernehmen, wieder Zusammenfügen: Das war überwältigend und so umfangreich, dass man daraus noch mindestens einhundert Stücke machen könnte.
Es ist jetzt ein Jahr her, dass es die großen Black Lives Matter Proteste gab. Danach wurde das Humboldt Forum in Berlin eröffnet, es läuft eine Debatte über die Restitution der Beninbronzen und Entschädigungszahlungen für Herero und Nama. Mitten in dieser Gemengelage wird »Embrace your crown« uraufgeführt. Welche Hoffnungen und Erwartungen hast du an das Stück in diesem Kontext?
Es brennt gerade und da, wo es brennt, muss gelöscht werden. Ich mache meine Arbeit vor allem, um zu empowern. Ich möchte Schwarzen Kindern und Jugendlichen aufzeigen, wie viele tolle Vorbilder sie haben könnten, wenn sie wüssten, dass es diese Menschen gegeben hat. Ich mache keine antirassistische Aufklärungsarbeit. Es ist wirklich nicht meine Aufgabe, irgendjemanden abzuholen, zu belehren oder Wohlfühl-Theater zu machen. Ich konzentriere mich auf die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, und möchte, dass wir uns in unserer gemeinsamen Arbeit gegenseitig stärken.
Man hört in diesen Tagen eigentlich wenig Empowerndes aus dem Kulturbetrieb. Stattdessen ploppen Kunst- und Kulturinstitutionen aller Orten Debatten über Machtverhältnisse und Rassismus auf. Wie hält man da diese Empowerment-Strategie durch?
Es gibt zu wenig geschützte Räume. Das ist ein Problem. Gleichzeitig möchte ich mit meiner Arbeit nicht in ein geschütztes »Exil« gehen. Ich will die geschützten Räume in die weißen Räume hineinsetzen: Reclaiming Spaces. Wir sollten nicht abseits stehen oder in einer Nische landen.