Mehr als nur Glanz und Gloria
Wie feministische Filmfestivals einen kritischen Gegenpol zur Glitzerwelt der Filmbranche schaffen
Blitzende Lichter, Weltpremieren, Stars in glänzenden Roben, Champagner und goldene Statuetten – diese Bilder großer Filmfestivals sind uns aus der medialen Berichterstattung nur allzu vertraut. Präsentiert werden Filme, von denen die aufmerksamkeitsstärksten anschließend bei uns im Kino oder auf Streamingplattformen zu sehen sind. Doch davor, in ihrer Festivalphase, müssen die Filme und ihre Macher*innen zum Teil einer Marketingmaschinerie werden, die im Zeitalter von Social Media und FOMO-Gefühlen (Fear of missing out) immer mehr an Relevanz gewinnt. Heute lernen Filmstudierende bereits früh, sich und ihre Werke auf Festivals zu präsentieren, Teilnahmen und Preise werden immer mehr zu Voraussetzungen für zukünftige Fördermöglichkeiten. Profile und Anforderungen von Festivals werden gezielt bedient, um in deren Programm einen Platz finden zu können. Es geht um Aufmerksamkeit, das Anlocken der Presse, um Networking und (Selbst-)Vermarktung der Filmschaffenden und ihrer Ensembles an Schauspieler*innen. Aber auch den Festivals selbst ist besonders daran gelegen, die beliebtesten Stars vor ihrer Sponsoringwand zu wissen, um wiederum den bestmöglichen Hype für ihre Veranstaltung zu kreieren und ihre Fördergeldgebende zufriedenzustellen. So lässt sich die Industrie der sogenannten A-Festivals, die laufend ihre großen Jubiläen feiern – Venedig beging dieses Jahr bereits seine 80. Ausgabe – beschreiben. Die meisten dieser exklusiv ernannten fünfzehn internationalen A-Festivals, sozusagen die Gatekeeper der Arthouse-Filmindustrie, befinden sich übrigens in Europa.
Zwischen Kritik und Selbstausbeutung
Doch sie sind nicht allein, die großen und lauten Festivals – parallel dazu bildeten sich auch alternative Veranstaltungsreihen heraus, etwa die von Kritiker*innen ab den 1960er-Jahren initiierten Parallelfestivals Giornate Degli Autori in Venedig, die Woche der Kritik in Berlin oder die Semaine de la Critique in Cannes. Andererseits organisierten ab den 1970ern (queer-)feministische, nicht-weiße Filmkritiker*innen und Filmschaffende, die zumeist von beiden ausgeschlossen wurden, Festivals mit anderer Programmauswahl und der Idee, sie zu Orten des politischen Handelns werden zu lassen. Hier führten Aktivist*innen gemeinsam den Kampf um kulturelle Teilhabe. Viele dieser Festivals bestanden aber gerade aufgrund ihrer selbstausbeuterischen Basis nur aus vereinzelten Ausgaben. Keine großen Jubiläumsfeiern also. Auch ihre Geschichte ist bzw. war für lange Zeit selbst nicht mehr sicht- und greifbar. Zu archivieren begonnen wurde – wenn überhaupt – häufig erst Jahrzehnte später; viele Filmkopien und Aufzeichnungen sind nur privat erhalten.
Dennoch haben einige Veranstaltungen in jüngster Zeit eine Art Renaissance erlebt. Ein Beispiel dafür ist das Sojourner Truth Festival of the Arts, dessen einzige Ausgabe 1976 in New York stattfand. Die Filmwissenschaftlerin Haley O’Malley hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Programm und das Vermächtnis dieses Festivals zu rekonstruieren. Als erstes Black Women’s Film Festival spielte es eine wesentliche Rolle für den Aufbruch von Filmemacher*innen of Color. Filme und Videos, die keinen Kinostart bekamen, trafen auf Lesungen, Paneldiskussionen und andere Kunstformen. Über vierzig Jahre später begann O’Malley mit der damaligen Hauptverantwortlichen für das Programm, Monica Freeman, sowie weiteren Beteiligten und Teilnehmer*innen zu recherchieren. Welche Filme waren im Programm zu sehen? Wie war die Atmosphäre? Welche Rolle spielt das Festival für die Kulturlandschaft der USA? Wieso klaffen nur Leerstellen in Geschichtsbüchern und im Internet?
Beim Festival Feminist Elsewheres diesen November im Berliner Arsenalkino erzählten O’Malley, Freeman und die Filmemacherin Aarin Burch in einem Panel von ihrer gemeinsamen, generationenübergreifenden Suche nach der Festival-Vergangenheit. Dass Geschichtsbewusstsein für den Aufbruch in die Zukunft wesentlich ist, darüber waren sie sich ebenso einig wie über die Relevanz von Community Building sowie der Zusammenarbeit und dem Zusammenkommen von Forscher*innen und Künstler*innen. Feminist Elsewheres machte es sich auch zur Aufgabe, Zeiten, Generationen, Orte, Biografien und Perspektiven zu verbinden. Das Programm- und Organisationsteam bezog sich mit seiner Veranstaltung auf jenes Festival, das als Start für die feministische Filmbewegung in Westdeutschland gilt: das u.a. von Claudia von Alemann und Helke Sander initiierte Erste Internationale Frauenfilmseminar im Jahr 1973 und auf dessen erste Aktualisierung im Jahr 1997. Filme und Akteur*innen aus den damaligen Ausgaben trafen nun, Jahrzehnte später, auf eine nachfolgende Generation aus Filmschaffenden, -wissenschaftler*innen und -kritiker*innen. Gegenseitige Wertschätzung und Bewunderung von Engagement, Mut und der notwendigen finanziellen Selbstausbeutung waren immer wieder spürbar, genauso wie das Erstaunen, wie brisant viele der »alten« feministischen Forderungen nach wie vor sind. Auch der Kampf um finanzielle Ressourcen für feministische Veranstaltungen und Initiativen einte die Teilnehmenden. Denn der Löwenanteil der Fördergelder fließt in der Regel in die prestigeträchtigen Aushängeschilder der Filmwirtschaft. Dort wird die Unterstützung von Diversität, Inklusion und Feminismus meist oberflächlich vermarktet statt strukturell angegangen. Von den kleineren, gegenkulturellen Vernetzungsräumen könnte man hier lernen, zuzuhören und zu verstehen, was konstruktiver Austausch bedeutet. All das sind Problematiken, die kulturellen Aktivist*innen sehr vertraut sind. Erst in einem Woanders – Elsewhere – werden sie wohl gelöst sein.