Faschistisches Italien?
Aufgeblättert: »Neuer Faschismus?« von Jens Renner
Von Fabian Westhoven
Faschistische Kampfbünde, finanziert von Unternehmen, terrorisierten vor 100 Jahren in Italien politische Gegner*innen. Heute ist dort von faschistischen Schlägertrupps wenig zu sehen, und traditionelle Eliten haben kein Interesse an einer offen faschistischen Diktatur. Und doch stellt Jens Renner die Frage: »Ist Italien, das Mutterland des Faschismus, abermals auf dem Weg in ein autoritäres Regime?« Das Angebot an rechten bis neofaschistischen Parteien gebe es sehr wohl, siehe Matteo Salvinis Lega Nord, die Fratelli d’Italia oder Forza Italia. Zwar hat sich der ehemalige Innenminister Salvini im August 2019 mitsamt seiner Partei – vorerst – ins Abseits befördert. Doch die Zustimmung zum rechten Lager insgesamt ist ungebrochen hoch; eine Meinungsumfrage schätzt sie auf 48 Prozent. Gleichzeitig sind rassistische, ultranationalistische und antidemokratische Ansichten breit im »Alltagsverstand« als Grundlage kultureller und politischer Hegemonie (Gramsci) verankert.
Eine rechte Mehrheit auf nationaler Ebene ist immer noch greifbar nahe, so Renners Einschätzung. Sein Buch diskutiert die Faschismus-Frage nicht nur im Lichte der Ereignisse der letzten Jahre. Er blickt auch zurück auf die Vorläuferparteien und -organisationen der heutigen rechten Parteien, analysiert die rechten Regierungen ab 1994 unter Berlusconi und beleuchtet das Zusammenspiel von staatlichen Strukturen mit faschistischen Kräften seit 1945 (»Staatsfaschisierung«). Ein profunder Überblick.
Jens Renner: Neuer Faschismus? Der Aufstieg der Rechten in Italien. Bertz+Fischer, Berlin 2020. 159 Seiten, 8 EUR.