Exil ohne Rückkehr
Anton de Kom kämpfte gegen den niederländischen Kolonialismus und die deutsche Besatzung – er starb im KZ
Von Paul Dziedzic und Johannes Tesfai
Farbige Landsleute, ihr wart Sklaven, aber ihr werdet weiter in Elend und Armut leben, solange ihr kein Zutrauen in eure eigene proletarische Zusammengehörigkeit habt«, schreibt Anton de Kom in seinem Buch »Wir Sklaven von Suriname«. Es erschien 1934 und hat den antikolonialen Aktivisten und antifaschistischen Widerstandskämpfer der Nachwelt erhalten. In den Niederlanden und in Suriname hat das Buch vor allem wegen der antikolonialen und antirassistischen Stoßrichtung eine Renaissance erfahren, zuletzt als die Black-Lives-Matter-Bewegung 2020 in die Niederlande schwappte. Doch de Koms Leben umfasst mehr als diese Kampfschrift gegen den Kolonialismus, er war Teil der globalen Linken in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Rohe Gewalt
Geboren wurde Anton de Kom 1898 in Suriname, eine damalige Kolonie der Niederlande. Seine Eltern waren die Kinder versklavter Schwarzer, die von Afrika nach Suriname gebracht worden waren. Nachdem die Niederlande 1863 die Sklaverei abgeschafft hatten, holten sie Arbeiter*innen aus Britisch-Indien und Indonesien. Die ertragreiche Plantagenwirtschaft sollte am Laufen gehalten werden, denn die bescherte den niederländischen Kolonialherren traumhafte Profite. Auch nach dem Ende der Sklaverei war Suriname ein Ort der Überausbeutung.
De Kom entkam der Schwerstarbeit auf den Zuckerplantagen, Bananenfarmen und unter den Kautschukbäumen. Er absolvierte die Schule und ging als Buchhalter in die Niederlande nach Den Haag. Er knüpfte Kontakte zu radikalen Indonesier*innen, die für die Unabhängigkeit von den Niederlanden kämpften. Diese Kontakte brachten ihn näher an die organisierte Arbeiter*innenbewegung. 1927 trat er in der Liga gegen den Imperialismus ein, einer Vorfeldorganisation der Komintern, und wurde dort später Vorstand der Sektion Holland. Er wurde Teil eines Kollektivs kommunistischer Autor*innen unter dem Namen »Links Richten« (links zielen) und begann mit seinen Recherchen zum Buch »Wir Sklaven von Suriname«.
Die antikoloniale Intervention war zugleich eine Anklage des Rassismus in der Gesellschaft von Suriname. De Kom zeigte aber auch, dass die scharfen Formen der Ausbeutung migrantischer und Schwarzer Arbeiter*innen nicht mit dem Ende der Sklaverei aufhörten. Der Text entspannt sich von der Ankunft der Europäer*innen und dem Beginn der Kolonisierung bis zu de Koms kurzzeitiger Rückkehr aus den Niederlanden nach Suriname. Bemerkenswert sind die detailreichen Beschreibungen der rohen Gewalt der Sklavenbesitzer*innen, oft gespickt mit Zynismus und einer verständlichen Verachtung gegenüber dem niederländischen Kolonialismus.
Wortwahl und Beschreibung erinnern unweigerlich an C.L.R. James‘ »Die schwarzen Jakobiner«. (ak 675) Dieses radikale Werk des Schwarzen Marxismus speiste sich ebenfalls aus der zynischen Anklage der Gewalt französischer Sklavenhalter*innen auf Haiti. James und de Kom repräsentieren einen neuen Typus des antikolonialen Aktivismus. Sie waren Teil einer globalen antiimperialistischen und antikolonialen Linken, die den Respekt vor den weißen Herren dies- und jenseits des Atlantik verloren hatten. Außerdem gehörten sie zu einem Internationalismus, indem auch weiße Genoss*innen mit ihnen auf Augenhöhe Politik machten.
Die Zeiten waren günstig für seine Themen, der Kampf gegen Rassismus war in der globalen Linken angekommen.
Anfang der 1930er Jahre war de Kom ein gern gesehener Gast auf Veranstaltungen der niederländischen Arbeiter*innenbewegung und fungierte dort oft als inoffizieller Repräsentant des surinamischen Proletariats. Die Zeiten waren günstig für seine Themen, der Kampf gegen Rassismus war in der globalen Linken angekommen. Er beteiligte sich an der internationalen Bewegung zur Unterstützung der Scottsboro Boys, neun Schwarze Jugendliche, denen in den USA in einer Art Schauprozess die Todesstrafe drohte. »Der gleiche Geist, der in den Vereinigten Staaten herrscht, herrscht auch unter den weißen Machthabern in Suriname«, sagte er 1931 auf einer Veranstaltung internationalistischer Indonesier*innen in Amsterdam.
Über den Atlantik
1932 kehrte de Kom in seine Heimat zurück. Die koloniale Presse und Verwaltung geriet in helle Aufregung, weil ein bekannter Aktivist der radikalen Arbeiterbewegung auf dem Weg war. Der niederländische Geheimdienst hatte schon in Den Haag um de Kom herumgeschnüffelt und informierte engagiert die Behörden in Suriname über ihn.
Die unfreiwillige Öffentlichkeit sorgte unter den Schwarzen, indischen und indonesischen Arbeiter*innen für Begeisterung. Die Reise sollte auch dazu dienen, radikale Ideen nach Suriname zu tragen. De Kom plante Veranstaltungen zur Geschichte Surinams und wollte dabei vor allem den proletarischen Widerstand der Versklavten und Ausgebeuteten hervorheben. Schon bald nach seiner Ankunft, so berichtete es de Kom später in einem Interview, wurde er von Zivilpolizisten verfolgt, und es war nicht mehr möglich, Veranstaltungsräume zu finden.
Statt der trockenen Vorträge stürzte de Kom sich in die politische Arbeit vor Ort und bot einen Anlaufpunkt für Arbeiter*innen in seinem Haus an. Oder wie de Kom es ausdrückte: »Vielleicht gelingt es mir ja, ihnen so etwas wie Hoffnung und Mut zu geben, die in dem mächtigen Wort verborgen sind, das ich in der Fremde gelernt habe: Organisation.« Er führte ein Beschwerdebuch, dass dem Gouverneur der Kolonie übergeben werden sollte. Nur kurze Zeit später nahm ihn die Kolonialverwaltung fest.
Als nach drei Monaten Haft das Gerücht umging, dass seine Freilassung bevorstand, versammelten sich tausende Arbeiter*innen vor dem Sitz des Gouverneurs. Die Polizei eröffnete das Feuer auf die Menge und tötete zwei Arbeiter*innen und verletzte über 20. Wohl wissend, dass de Kom nicht länger ohne Prozess eingesperrt werden konnte, ohne einen weiteren Aufstand zu provozieren, wurde er mit seiner Familie ins Exil in die Niederlande verbannt. Dort stürzte er sich wieder in die Arbeit in der kommunistischen Bewegung. Er schrieb unter anderem für die antirassistische und kommunistische Zeitung The Negro Worker, bei der der surinamische Kommunist Otto Huiswoud als Redakteur arbeitete.
Antifaschist der ersten Stunde
1935 agierten der junge Antifaschismus und die antikolonialen Fraktionen der Arbeiter*innenbewegung gemeinsam. In diesem Jahr überfiel das faschistische Italien Abessinien, das heutige Äthiopien. In der Kriegsführung von Mussolinis Armee konnte man sehen, welch giftige Verbindung Kolonialrassismus und faschistischer Gewaltapparat eingegangen waren. (ak 690) Weltweit organisierten sich Kommunist*innen gegen diesen Krieg, vor allem Schwarze Kader aus der antikolonialen Bewegung wie George Padmore oder C.L.R James gründeten Komitees in Solidarität mit dem überfallenen Land. Auch de Kom schloss sich den Solidaritätskomitees an. De Kom war Antifaschist der ersten Stunde, die antikoloniale Brille ließ ihn die faschistische Episode nicht als Polittheater, sondern als reale Gefahr sehen. Als Teil der Roten Hilfe, in der er aktiv war, forderte er Asyl für deutsche Antifaschist*innen.
So sehr der italienische Überfall für Mobilisierung sorgte, so sehr spaltete er die Arbeiter*innenbewegung. Viele Schwarze Kommunist*innen wendeten sich von der Komintern ab. De Koms Aktivitäten verlagerten sich von der Arbeiter*innenbewegung in Richtung diasporischer Netzwerke wie dem linken Bond van Surinaamse arbeiders. 1937 wurden die Risse zwischen Antirassismus und Antikolonialismus auf der einen Seite sowie organsierter Arbeiter*innenbewegung auf der anderen sichtbar. The Negro Worker wurde eingestellt. Aufgrund der politischen Lage und eines psychischen Zusammenbruchs stellte de Kom seine politischen Aktivitäten ein.
Mit dem Einmarsch des nationalsozialistischen Deutschlands 1940 in die Niederlande änderte sich das. Er engagierte sich im niederländischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung. De Kom begann für die kommunistische Untergrundzeitung De Vonk (der Funke) zu schreiben. Die Untergrundpresse erfüllte vor allem die Funktion, Nachrichten über den Kriegsverlauf zu verbreiten, die nicht durch die Zensur der Besatzungsmacht drangen. Die Presse wollte aber auch eine politische Kommentierung des Weltkriegs leisten sowie über eine mögliche Welt nach dem Krieg schreiben. Deshalb war es umso wichtiger, dass die radikale Linke eigene Blätter wie De Vonk oder das Blatt der Kommunistische Partei Hollands, De Waarheid, illegal verbreitete.
Unerzählte Lagergeschichte
Während viele der klandestinen Netzwerke von den Nazis aufgelöst wurden, machte de Kom weiter – bis 1944. Dann nahm ihn die Gestapo fest und sperrte ihn in ein Gefängnis für politische Gefangene. Vom KZ Vught in den Niederlanden wurde er in ein Außenlager des KZ Sachsenhausen deportiert. Noch im April 1945, also kurz vor der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, transportierten ihn die Nazis in das Außenlager Sandbostel des KZ Neuengamme, wo er am 24. April entkräftet starb. Wenig ist über die Zeit im Widerstand dokumentiert. Genauso wenig gibt es Aktenbestände über die Zeit im KZ Neuengamme, aber es existieren einige wenige Zeugenaussagen von Mithäftlingen aus dieser Zeit. Dass überhaupt im deutschsprachigen Raum eine Aufarbeitung der Lagerzeit von de Kom stattgefunden hat, ist Rosa Fava zu verdanken, die die Biografien Schwarzer KZ-Insassen des Hamburger Konzentrationslagers erforscht hat. Sophia Annweiler hat zudem die erste politische Biografie von de Kom auf Deutsch vorgelegt, bisher als unveröffentlichte Masterarbeit.
Die Aufarbeitung des Todes und seiner Biografie sind in den Niederlanden und Suriname weiter fortgeschritten. 2006 wurde eine Statue von Anton de Kom in Amsterdam enthüllt. Der halbnackte Körper widerspricht zwar der Mode des adretten linken Kaders seiner Zeit, provozierte zumindest eine öffentliche Diskussion über de Koms Darstellung durch die weiße Mehrheitsgesellschaft. Lange blieb unklar, wo die sterblichen Überreste des Aktivisten lagen. Das niederländische Rote Kreuz versuchte über viele Jahre, auf deutschen Kriegsgräbern Hinweise zu finden. 1960 wurden die sterblichen Überreste in Sandbostel gefunden. Der niederländische Staat ließ ihn im gleichen Jahr auf einen Ehrenfriedhof in Loenen umbetten. Bei der Zeremonie wurden die Namen aller Umgebetteten verlesen, de Koms aber vergessen. Das koloniale Vorurteil wirkte nach.