Ehrenpflegas. Fun im Altenheim
Von Lene Kempe
Branded Entertainment, das ist laut Wikipedia, »wenn die Handlung eines Medienproduktes primär den Zweck erfüllt, bestimmte Produkte in Szene zu setzten«. Das Produkt »Bundeswehr« zum Beispiel. Um für diese zu werben, durften sich in der Webserie »Die Rekruten« (2016) junge Männer und ein paar Frauen medienwirksam durch den Schlamm wälzen, von Vorgesetzten erniedrigen und auf kilometerlange Märschen mit extra Gepäck peitschen lassen. Das kam gut an bei der jungen Generation. Die Anzahl von Bewerbungen stieg nach Ausstrahlung der Serie laut Bundeswehr um 20 Prozent.
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey hat dieses neue Vermarktungstool nun auch für ihren Verantwortungsbereich entdeckt. Mit der Miniserie »Ehrenpflegas« (aua), die Mitte Oktober gestartet ist, will sie junge Menschen für Pflegeberufe begeistern.
Produktwerbung lebt von einem glatten und sauberen Image des Produktes. Und so kommt es, dass über fünf Folgen die Pflege als Tätigkeit nur eine vernachlässigenswerte Nebenrolle spielt. Wenn zum Beispiel die strebsame Pflegeschülerin Harry Potter (haha, sehr witzig) sich den letzten Tropfen Flüssigkeit aus ihrem Thermobecher in den Hals schüttet und sagt, sie brauche mehr Kaffee, es ging so lang gestern. Huch, was war denn da los, schießt es einem kurz durch den Kopf. Aber diese beiläufige kleine Anspielung auf das Problem endloser Überstunden im Pflegebereich hat die Zuschauerin spätestens wieder vergessen, wenn die anderen beiden Ehrenpflegas, Boris und Miray, in das nigelnagelneue Cabriolet von Harry Potter steigen, das sich die Pflegeschülerin von ihrer »Avgü« (Ausbildungsvergütung) geleistet hat. »Über tausend Euro, kriegst du auch.« Ja geil. Dann machen die drei noch ein bisschen Quatsch mit einem demenzkranken Opa. Boris freut sich, dass »generalistische Ausbildung« wie General klingt, ja besser noch: wie Panzergeneral. Die drei ziehen sodann in ein Vier-Zimmer-Loft – und die Serie räumt nebenbei noch mit dem Klischee auf, Frauen würden nur auf empathielose Machos mit viel Geld stehen. Wer würde da nicht gleich zum Telefon greifen und sich einen Platz in der Pflegeschule ihres oder seines Vertrauens sichern? Und endlich, endlich »Karriere als Mensch« machen.
Es ist in Wahrheit so unwitzig, wie es symptomatisch für die aktuellen Debatten und Auseinandersetzungen im und um den Pflegebereich ist, dass die Beschäftigten nicht mit mehr Geld und mehr Personal bedacht werden, sondern mit einer schäbigen Miniserie.
Der Pflegeverband distanzierte sich umgehend von den transportierten Inhalten, vor allem von der Message, die Pflege sei ein Auffangbecken für junge Menschen, die sonst nicht wissen, was sie tun sollen. Der Shitstorm in den sozialen Medien war da schon längst ausgebrochen, mittlerweile sind zwei Petitionen gegen die Serie online.
Das Problem an der Serie ist aber nicht nur, dass sie komplett realitätsfern, peinlich und sexistisch ist; die Idee, Pflege durch ihre Vermarktlichung zu verbessern, ist schon einmal krachend gescheitert. Eine bedarfsgerechte gesellschaftliche Daseinsfürsorge wurde – spätestens mit der Einführung des Fallpauschalensystems – durch betriebswirtschaftliches Denken und Profitorientierung in den Krankenhäusern und im Pflegesystem ersetzt. Nicht nur die Corona-Pandemie, auch und vor allem die jahrelangen Kämpfe des chronisch überlasteten Krankenhauspersonals haben dazu geführt, dass die kompromisslose Ökonomisierungsstrategie zuletzt mehr und mehr in Verruf geriet. Das Gesundheitssystem mit all den Menschen, die darin arbeiten oder davon abhängen, wurde schlicht kaputtgespart. Franziska Giffey versucht jetzt, mit Instrumenten aus derselben verstaubten Trickkiste die Scherben aufzusammeln. Nachdem also Gesundheit zur Ware und Krankenhäuser zu Wirtschaftsunternehmen umgebaut wurden, will die Ministerin die Pflege nun in ein hippes junges Produkt verwandeln. Mit angesagten Schauspieler*innen und frechen Gags. Das ist keine Lösung für den Pflegekräftemangel, sondern Teil des Problems.