Anarchistische Überlebenskünstlerin
Die Edition Nautilus verlegt seit den 1970er Jahren Antiautoritäres und manchmal auch einen Krimi – nun ist die Verlags(auto)biographie »Arbeitet nie!« erschienen
Von Sebastian Klauke
Der kleine, anarchistische Verlag erlebte seinen ersten großen Erfolg 1985 mit der Buchfassung des Silvester-Klassikers »Dinner for One«. Die Nachfrage war so groß, dass es Beschwerden aus dem Buchhandel darüber gab, warum man das Werk »nicht unverlangt zugesandt« bekam. 1992 hatte die Edition Nautilus einen weiteren Erfolg: die Autobiografie »des deutschen Stalinisten a. D., Karl-Eduard Schnitzler«, deren Einnahmen die Verleger*innen direkt in eine Herzensangelegenheit investierten, die Biografie des spanischen Anarchisten Buenaventura Durruti, einer Ikone des Bürgerkriegs.
Verlagsgründerin Hanna Mittelstädt hat nun mit »Arbeitet nie!« eine Chronik und zugleich ein Portrait des ungewöhnlichen Verlags vorgelegt. Mittelstädt beschreibt darin zudem ihr Leben und das ihres bereits verstorbenen Gefährten und Mitbegründers Lutz Schulenburg. Dadurch ist ein Buch entstanden, das das anarchistische Milieu der Bundesrepublik beschreibt, aber auch die linken Grabenkämpfe seit den 1970er Jahren. Und zugleich ein Buch, das von dem Wagnis berichtet, linke Bücher zu verlegen, von finanziellen Risiken und Verlusten, wie auch von linker Solidarität in Krisenzeiten. In der linken Diskussion wurden die Bücher der Edition Nautilus vor allem rezipiert, weil dort die Schriften der Situationistischen Internationale auf Deutsch erschienen, also jener berühmt gewordenen antiautoritären Theorieströmung, die mit ihren Texten die soziale Explosion um den Pariser Mai 1968 herbei schrieb. Mittelstädt hat »Arbeitet nie!« mitreißend verfasst, ohne Pathos, aber mit deutlich wahrzunehmendem Stolz auf das Schaffenswerk – und vor allem darüber, durchgehalten zu haben.
Bunte Mischung
Der Verlag ist bis heute in seinem Programm so unorthodox wie die Theorien, die er verlegt. Bei ihm erscheinen Biografien, Zeitzeug*innenenberichte, theoretische Essays, viel Belletristik und darunter nicht wenige Krimis. Avantgardistische Literatur gehört ebenso zum breit aufgestellten Programm. Dabei hat sich der Verlag die anarchistische Grundidee bis heute erhalten. Mit der Zeitschrift Die Aktion hatten die Verleger*innen bis 2018 eine antiautoritäre Zeitschrift im Programm. Von 1981 bis 1997 realisierte der Verlag die Gesamtausgabe von Franz Jung, einem avantgardistischen Schriftsteller und rätekommunistischen Politiker, dem bis heute viel zu wenig Beachtung im Kulturbetrieb zuteil wird.
Die linke Verlagslandschaft ist kein gutes Geschäft, sie überlebt vor allem aus Überzeugung.
1997 verlegte die Edition Nautilus die Autobiografie des RAF-Mitglieds Inge Viett. Mittelstädt hatte Viett, die damals noch im Gefängnis saß, in Folge eines Tipps in der Sache angeschrieben und die Entstehung des Buches überhaupt erst angeschoben. Der Kontakt zu unterschiedlichen Fraktionen der radikalen Linken war den Hamburger Anarchist*innen immer wichtig. »Arbeitet nie!« ist nicht chronologisch, sondern thematisch-episodisch angelegt, was die Lektüre überhaupt nicht erschwert, sondern das Buch stärker macht. Der Text ist mit zahlreichen Bildern aus dem Verlagsleben und einigen Covern angereichert, ein Inhaltsverzeichnis gibt es nicht, leider auch kein Namensregister.
Mittelstädt lässt häufig Pierre Gallissair zu Wort kommen. Als Dritter im Bunde hatte er den Verlag mitgegründet, ging dann aber zurück nach Frankreich, lebte dort als Übersetzer und Lyriker und blieb mit Schulenburg und Mittelstädt bis zu seinem Tod 2020 ständig in Kontakt. Die Verlegerin schließt ihren Text mit ihrem eigenen Ausscheiden aus dem Verlag im Jahr 2016. Entgegen der landläufigen Logik von Firmen und Eigentum wurde der Verlag danach zum Kollektivbetrieb der Mitarbeiter*innen.
Mittelstädt berichtet auch über Krisen, persönliche und des Verlages. So war die »Zeit der Wende« eine »Bruchstelle«, allerdings nicht aus politischen oder verlegerischen Gründen. Lutz Schulenburg war drauf und dran, alles zu beenden, Verlag, Zeitschrift und die Beziehung zur Autorin, er hatte sich verliebt. Sie machten jedoch weiter und blieben zusammen. Des Öfteren schildert Mittelstädt ihr Bedauern über den Nicht-Erfolg, das Nicht-Wahrgenommen-Werden vieler der von Nautilus verlegten Autor*innen. Dass die linke Verlagslandschaft kein gutes Geschäft ist, sondern vor allem aus Überzeugung überlebt, zeigt auch die Geschichte dieses Verlags. Erfolgsgeschichten sind deshalb selten. Anders bei »Tannöd«, der bei Nautilus 2006 erschien. Ein unerwarteter Erfolg: ein in Bayern spielender Krimi, der von einem norddeutschen Anarchoverlag veröffentlicht wurde. Mit dem Gewinn konnte die Neuausgabe der Emma-Goldman-Autobiografie finanziert und ein Haus gekauft werden, das als Wohn- und Arbeitsort des Verlages dient.
Sich treu bleiben
Dass der Verlag in den 2010er Jahren dann noch zwei Bücher des Unsichtbaren Komitees herausbrachte, und insbesondere »Der kommende Aufstand« ein breit debattierter, neoanarchistischer Erfolg wurde, war keineswegs ausgemacht. Mittelstädt und Schulenburg waren zunächst abgeneigt, da aus ökonomischer Sicht die früheren situationistischen Veröffentlichungen ein Misserfolg waren. Die Lektorin Katharina Picandet überzeugte die beiden jedoch, dass sich das Buch lohne – es verbinde die verschiedenen Generationen und bringe einen jungen, gegenwärtigen Blick in die anarchistische Debatte. Im Rückblick versteht Mittelstädt diese Bücher, ebenso wie die der Feministin Laurie Penny, als »Verbindungsglied in die Jetztzeit« – als Fortführung des »anarchistisch-situationistischen Experiment[s]«, das der Verlag von Beginn an war.
Entstanden ist keine klassische Autobiografie, kein Abfeiern der eigenen Bedeutung, keine romantische Verklärung des eigenen (Verlags)Lebens am linken Rand der Gesellschaft. Das Buch ist eine wohlformulierte Offenlegung des eigenen Weges.
Hanna Mittelstädt: Arbeitet nie! Die Erfindung eines anderen Lebens – Chronik eines Verlages. Edition Nautilus, Hamburg 2023. 360 Seiten, 28 EUR.