Saufen hui, Kiffen pfui
Die Diskussion um die Freigabe von Cannabis offenbart vor allem rechte Deutungen
Von Bilke Schnibbe
Bevor das Thema Cannabislegalisierung in den Sondierungsgesprächen zwischen Grünen, FDP und SPD überhaupt auf den Tisch kommen konnte, meldeten sich bereits Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, und Oliver Malchow, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, übereifrig zu Wort, um ihren Unmut kundzutun. Man darf den Joint nicht schönreden, ließen die beiden in der Neuen Osnabrücker Zeitung verlauten. Cannabis sei eine gefährliche Einstiegsdroge, die Ampelparteien machen sich der Verharmlosung schuldig. Das ist wissenschaftlich zwar nicht haltbar, denn nur ein sehr geringer Anteil der Cannabiskonsument*innen nutzt später auch andere illegale Drogen, aber das scheint die beiden sendungsbewussten Ordnungshüter nicht weiter zu stören.
Neben diesem »Argument« bringen die beiden Gesundheitsexperten-Laiendarsteller weitere fragliche Geschütze in Stellung: Der Schwarzmarkt für Cannabis würde trotz Legalisierung weiter bestehen. Eine Entkriminalisierung hätte außerdem insbesondere eine Signalwirkung auf Jugendliche, die dann davon ausgehen würden, dass Cannabis gar nicht schädlich sei, weil es ja erlaubt ist. Dadurch würde der Konsum ansteigen. Dass all diese Punkte nicht abschließend geklärt sind, lassen sie außen vor. Länder und Regionen, in denen Cannabiskonsum legalisiert wurde, zeigen unterschiedliche Entwicklungen hinsichtlich ihrer Konsument*innenzahlen. Unter tatsächlichen Expert*innen wird debattiert, welche Motive Jugendliche für den Konsum verschiedener Substanzen haben und warum einige Jugendliche zu hohem und dauerhaftem Konsum neigen. Ob etwas legal oder illegal ist, spielt dabei sicher eine Rolle. Wenn diese Rolle aber so groß wäre, wie Wendt und Malchow nahelegen, dann müssten wir sofort Alkohol und Nikotin verbieten, um Jugendliche zu schützen.
Es geht wie beim Tempolimit auf Autobahnen oder der Frauenquote auch hier darum, mit rechter Ideologie Stimmung zu machen.
Die öffentliche Debatte über die Cannabislegalisierung dreht sich nicht nur um medizinische und strafrechtliche Fragen. Auch Wendts und Malchows dünne Argumentation weist darauf hin, dass wir es hier weniger mit der durchaus berechtigten Sorge um jugendliche Hirnstrukturen zu tun haben. Vielmehr scheinen die Ausführungen der beiden darauf zu zielen, die drohende Ampelkoalition in ihren Legalisierungsbestrebungen als mindestens unverantwortliche Ordnungsgefährderin darzustellen. Die öffentliche Debatte wird aus der Rolle der vermeintlich neutralen, vernünftigen Polizei mit rechten Schlagwörtern gefüttert. Es geht wie beim Tempolimit auf Autobahnen oder der Frauenquote auch hier darum, mit rechter Ideologie Stimmung zu machen. Mit tatsächlich vorliegenden Forschungsergebnissen und Erfahrungen aus Suchtprävention und -behandlung hat das alles wenig zu tun.
Eine differenzierte Betrachtung, was genau eigentlich Konsum motiviert und warum er in bestimmten (wohlgemerkt vergleichsweise wenigen) Fällen aus dem Ruder läuft, sodass Konsument*innen nicht zu einem unproblematischen Maß zurückkehren können oder wollen, wird nicht thematisiert. Dass eine Legalisierung zu einem Anstieg der Konsument*innenzahlen führen würde, die vor allem jugendlich wären, wird als gegeben vorausgesetzt.
Scheinheilige Signalwirkung
Welche Suchtmittel in Deutschland verboten sind und welche nicht, richtet sich nicht danach, wie gesundheitsschädlich die jeweiligen Substanzen sind. Es ist kein Geheimnis, dass sowohl gesteigerter Alkohol- als auch Nikotinkonsum deutlich gravierendere körperliche Schäden verursacht als Cannabiskonsum. Jedes Jahr sterben circa 74.000 Menschen durch übermäßigen Alkoholkonsum oder Alkoholkonsum in Kombination mit dem Rauchen von Zigaretten, so das Bundesministerium für Gesundheit. Es ist davon auszugehen, dass diese Zahlen noch deutlich höher wären, wenn indirekte Todesfälle (z.B. durch alkoholisierte gewalttätige Auseinandersetzungen oder Verkehrsunfälle) hinzugezählt würden. Cannabiskonsum hat auch in hohen Dosen keinen direkten tödlichen Effekt. Das kann man durchaus so anerkennen, ohne die möglichen Folgen von Cannabiskonsum zu verharmlosen.
In Deutschland sind circa 1,6 Millionen Erwachsene alkoholabhängig, weitere 6,7 Millionen Erwachsene konsumieren Alkohol in gesundheitlich riskanter Form. Das sind gute zwölf Prozent aller Erwachsenen, deren vermeintlich selbstbestimmter Konsum selbstschädigend ist. Abgesehen davon sind zwischen 1,6 und 1,9 Millionen Menschen in Deutschland von (größtenteils) verschreibungspflichtigen Beruhigungs-, Schlaf- und Schmerzmitteln abhängig. Tendenz steigend. Beim Thema Alkohol bringt trotzdem kaum jemand ein Verbot ins Spiel, um die gravierenden schädlichen Folgen für Abhängige, Angehörige und die gesamte Gesellschaft zu reduzieren. Argumente sind hier, dass ein Verbot die Selbstbestimmung einschränkt und man die Jugendlichen, die legal bereits mit 16 Jahren trinken dürfen, mit anderen präventiven Maßnahmen ausreichend schützen kann. Unabhängig davon, wie man zum Kiffen und zu Legalisierungsfragen steht, wird hier die massive Doppelmoral deutlich, die insbesondere konservative Politiker*innen walten lassen.
Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen schätzt die Zahl der Cannabisabhängigen für das Jahr 2018 auf 309.000. Diese sind, wie bereits erwähnt, im Gegensatz zu Alkoholabhängigen, nicht gefährdet, durch ihren Konsum allein zu sterben. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass eine Legalisierung die Zahl der Cannabiskonsument*innen und damit auch die der Abhängigen stark steigen lassen würde, sind wir weit von den gravierenden gesundheitlichen, finanziellen und sozialen Folgen entfernt, die Alkoholkonsum und Medikamentenabhängigkeit auf die Gesellschaft haben. Vor diesem Hintergrund scheint eine Diskussion darüber, dass eine Legalisierung von Cannabis massive negative Konsequenzen für die Gesellschaft hätte, gelinde gesagt, lächerlich. So unangenehm man den tiefenentspannten Alt-68er mit seiner Hanf-Plantage im Keller auch finden mag, in diesem Punkt hat er leider recht: Die deutsche Drogenpolitik ist verfehlt.
Gleichzeitig ist der Konsum von Cannabis nicht ungefährlich. Auch im Zuge der aktuellen Debatte taucht wie immer, wenn es um Cannabis geht, die Frage auf, wie wahrscheinlich es ist, durch Cannabiskonsum eine Psychose zu entwickeln. Wissenschaftlich klar ist, dass Cannabiskonsum und psychotisches Erleben überzufällig häufig zusammen auftreten. Es gibt Hinweise, dass Cannabiskonsum Psychosen auslösen kann, wenn aufgrund verschiedener Faktoren sowieso eine erhöhte Gefahr besteht, eine Psychose zu entwickeln. Insbesondere Jugendliche und Personen mit psychotischen Symptomen in der Vorgeschichte sollten deshalb auf Cannabiskonsum verzichten. Das Risiko, eine Psychose zu entwickeln, steigt dabei mit der Konsummenge und -häufigkeit an. Von 1.000 Cannabiskonsument*innen entwickeln im Schnitt 14 eine Psychose. In der Gesamtbevölkerung ist dieses Verhältnis mit 10 von 1.000 Personen, die an einer Schizophrenie erkranken, tatsächlich niedriger.
Auch wenn wissenschaftlich mittlerweile relative Einigkeit besteht, dass Cannabiskonsum Psychosen triggern kann, wird unabhängig davon diskutiert, ob ein Hang zu Psychosen die Neigung zu kiffen verstärkt. Menschen, die an einer Schizophrenie erkranken, würden nach dieser Logik im Frühstadium ihrer Erkrankung, also bevor es zu psychotischen Symptomen kommt, eher dazu neigen zu kiffen als der Rest der Bevölkerung. Wenn dem so wäre, würde in diesem Fall nicht das Cannabis die Psychose auslösen, sondern die schizophrene Frühsymptomatik vielmehr den Cannabiskonsum im Sinne einer Selbstmedikation hervorrufen.
Für Cannabis-Fans ist es angesichts der Dramatisierung, die Wendt und Malchow neben anderen betreiben, ein Leichtes, den absolut ernst zu nehmenden Zusammenhang von Cannabiskonsum und psychotischem Erleben als »Propaganda« abzutun. Und sie haben ja Recht: Es ist eben kein echtes Interesse an der Gesundheit von Jugendlichen und psychisch Kranken, sondern scheinheilige Stimmungsmache. Die eigentlich problematische Signalwirkung erzeugen Wendt und Malchow mit ihren ideologisch motivierten Übertreibungen. Ein verantwortungsbewusster und informierter Konsum oder Nicht-Konsum insbesondere von Jugendlichen wird so sicher nicht erreicht. Und die soziale und gesundheitliche Situation von Menschen mit Abhängigkeitserkrankung und/oder psychotischen Symptomen wird so auch nicht verbessert.
Autoritäre Win-Win-Situation
Das Mit-zweierlei-Maß-Messen in Bezug auf Cannabis und Alkohol zeigt ebenfalls deutlich, wie maßlos überzogen die Repression bezüglich des Besitzes und Konsums von Cannabis ist. Dafür ist unerheblich, wie hoch man das Psychose-Risiko letztlich einschätzt: Die aktuelle Art des Umgangs zeitigt keine nachvollziehbaren präventiven Erfolge. Repression verschlechtert allerdings die Lebenssituation Abhängiger, insbesondere solcher, die von Armut, Wohnungslosigkeit und Rassismus betroffen sind. Sie fördert die Stigmatisierung Abhängiger als »asozial« und »undiszipliniert«. Das verhindert effektive Hilfe – im Einzelfall und als gesellschaftliches Projekt.
Die der Straflogik zugrunde liegende Idee, dass Abhängige die Gesellschaft zersetzen und ihre »Krankheit« unter »den Gesunden« verbreiten, wenn man sie nicht maßregelt und letztlich ausmerzt, knüpft nahtlos an die nationalsozialistische Ideologie an. Die Figur des Schwarzen Dealers im Park, der daran auch noch Geld verdient, unterstreicht diese Fantasie der Gefahr für den weißen, deutschen Volkskörper. Gründe für Konsum und Abhängigkeit, die im Kapitalismus angelegt sind, wie zum Beispiel Armut, Gewalt und (kollektive) Traumatisierung, treten in den Hintergrund und erscheinen als unveränderbares Naturgesetz. Die, die die wirklich großen Drogengeschäfte machen, bleiben von Politik und Polizei unangetastet, während Kleinst-Dealer öffentlichkeitswirksam mit drakonischen Strafen, Polizeigewalt und rassistischer Hetze überzogen werden. So wird wiederum massive Polizeipräsenz in den Städten sowie Forderungen nach Aufstockung polizeilicher Mittel gerechtfertigt. Das zeigt, dass es für konservative Politiker*innen und die Polizei von Vorteil ist, wenn die Öffentlichkeit für hartes Durchgreifen in Drogenfragen ist. Wendt und Malchow lassen grüßen.
Eine linke Drogenpolitik muss sich dementsprechend entschieden von dieser Straflogik mit autoritär-faschistischem Unterbau abwenden, ohne dabei die Konsequenzen von Konsum zu verharmlosen oder gar zu glorifizieren. Cannabis ist kein Wunderheilmittel, und es ist erschreckend, wie viele Erwachsene in Deutschland selbstschädigend und damit offensichtlich nicht mehr selbstbestimmt Alkohol konsumieren. Das ist zwar absolut nachvollziehbar, aber eben kein Ausdruck von rebellischer »Freiheit« im Kapitalismus, ganz im Gegenteil.