Drogenabhängigkeit in sexy
Die Miniserie »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« ist eine aufpolierte Männerfantasie des Berlins der 1980er Jahre
Von Frankie Nikoleit
Ausgerechnet die Werbeanzeige »Christiane F. – Sie kämpft um die Liebe und ihr Leben« ploppt auf, nachdem ich die Miniserie »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo«, die im Februar bei Amazon Prime veröffentlicht wurde, schon gesehen habe und nun die wirklich vielen Rezensionen, Artikel und Meinungen sichte. Während die einen kritisieren, dass das ja nix mehr mit Buch oder Film zu tun hat, loben andere die zeitlose (Neu-)Inszenierung des klassischen Stoffs. Wiederum andere lamentieren darüber, wie sie früher in Berlin Kreuzberg dort bei der Kneipe um die Ecke wohnten und die Hauptfigur der Serie, Christiane F., trafen, ins »Sound« gingen oder mal an einem Joint zogen. Alle haben ja immer schon in Kreuzberg gewohnt und diese*n oder jene*n getroffen und sind immer ganz nah dran gewesen.
»Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« möchte, so sagt es die Beschreibung, ein »bildgewaltiges Coming of Age-Epos, das ein ebenso provokatives, kontroverses wie eindrückliches Bild der Berliner Drogen- und Clubszene zeichnet« sein. Auf acht Folgen gestreckt, zieht sich die Geschichte um Christiane – sowie Babsi, Detlef, Stella und Axel, deren Geschichten zwar auch in Buch, Film und Zeitungsartikeln Ende der 1970er bis Anfang der 80er Jahre erzählt wurden, denen jedoch hier mehr Raum gegeben wird.
Da ist nix Bedrohliches, kein Dialekt, Dreck oder Milieu mehr zu finden.
Serienmacher*innen und Kritiker*innen betonen dabei die auf Diversität setzende, zeitlose Inszenierung des Stoffs, der die Geschichte nun zu einem universellen Dokument über Jugend oder erste Liebe erheben soll. Die Inszenierung der Zeitlosigkeit funktioniert zum Beispiel über das Verwenden aktueller Musik, kurze traumartige, handlungsunterbrechende Sequenzen oder das Kostüm- und Bühnenbild. Das »Sound« wirkt so, ganz ohne dunkle Ecken oder versiffte Klos, eher wie eine nichtssagende Disco unter vielen und nicht wie die fortschrittlichste Disco Europas in den 1970er und 80er Jahren.
Einmal durchwischen bitte
Die Serie spielt mit den kulturellen Bildern von Berliner Jugend-, Musik- und Clubkultur und bleibt genau auf dieser Ebene verhaften. Man möchte etwas polemisch fragen, ob die Beteiligten schon mal Drogen genommen oder Berlin besucht haben. Amazon Prime veröffentlichte die Serie genau 30 Jahre nach dem Erscheinen des von Bernd Eichinger produzierten und 1981 erschienenen Film: Während Christiane mich dort in den ersten Minuten noch anschrie, was die Kinder denn nun machen sollten, außer in die Ecken zu pissen, sind Dreck und Gestank in der Serie aus Berlin verschwunden. Es wurde einmal durchgeputzt, bis kein Profil mehr übrigblieb. Die Zeitlosigkeit begradigt und poliert bestimmte Aspekte und möchte anderes lieber vergessen machen: In der weitestgehend klassen- und gewaltlosen Inszenierung gibt es weder Geschlechtskrankheiten noch Abhängigkeitsverhältnisse. Da ist nix Bedrohliches, kein Dialekt, Dreck oder Milieu mehr zu finden. Die Macher*innen tun sich ebenfalls schwer, Homosexualität als Teil der Drogenszene darzustellen, und dieses fiktive Berlin erscheint noch weißer und ohne erkennbares Proletariat. Gropiusstadt kommt wie eine nette Reihen(hoch)haussiedlung daher, die sämtliche Marker von Klasse und Milieu verschluckt hat. Die Wohnung ist stylisch, die Eltern als junge Menschen in ihren Zwanzigern und Christiane wie eine Lolita zurechtgemacht.
Der sabbernde männliche Blick auf Christiane und die anderen weiblichen Figuren kommt von allen Seiten: Allen voran von den Machenden, die Christiane in besonders schicken und knappen Klamotten herumstolzieren lassen, von den anderen (männlichen) Serienfiguren sowie in solchen Rezensionen, die Kritik vor allem mit dem Aussehen des Casts begründen. Dass es in dieser Serie eigentlich um vielseitige Abhängigkeitsverhältnisse der jungen Frauen von Männern (in Form von Vätern, Boyfriends oder Freiern) und ökonomischen Verhältnissen gehen müsste, wird in der zeitlosen, kulturellen Erzählung ebenfalls lieber unsichtbar gemacht. Das Elend wird ästhetisiert und glorifiziert. Drogenabhängigkeit und damit zusammenhängende Sexarbeit werden beschönigt dargestellt. Aber immerhin hat der männliche Zuschauer ordentlich was zu gucken.
Friede, Freiheit, Kleinfamilie
Ironischerweise wird so das Bild der glücklichen Hausfrau mit Mann und Kind durch die Serie als Gegenbild aufgebaut. Weihnachten im Kreis der Liebsten und das Leben auf einem Hof auf dem Land dienen als Begehrensraum. Christianes Leben in Berlin wird so zu einer ehemaligen Rebellion gegen die Eltern und die gesellschaftliche Norm. Die sterile, norm-schöne Imagination von Jugend und Rausch zeigt sich in Form eines kleinen abhängigen Mädchens mit süßem, unschuldigen Gesicht und schmalem Körper, das eigentlich nur eine heile Welt mit Pferden wollte.
Am Ende ist mit der platten Zusammenfassung des Stoffes als »Kampf um Liebe und Leben« auch schon alles gesagt, sodass die Serie nichts weiter als eine Daily Soap über den 80er-Jahre-Heroin-Chic bleibt, bei der sich die Figuren doch nur nach der Befreiung durch und dem Frieden in der bürgerlichen Kleinfamilie sehnen.