Ein Augenblick des Aufbruchs
»El Entusiasmo« zeigt den Neubeginn der spanischen Gewerkschaft CNT nach dem Tod Francos – mitreißend erzählt, lässt er die Zuschauer*innen dennoch fragend zurück
Von Christian Lelek
Spanien in den 70er Jahren: Es ist die Zeit der Transición, des Übergangs der 40-jährigen Diktatur Francisco Francos zu einer sozialpartnerschaftlichen, repräsentativen Demokratie. Schon Anfang der 1970er hatte das franquistische Regime Risse bekommen. Das oppositionelle Grundrauschen aus Aktionen in den Fabriken, Guerilla-Operationen und einer sich ausbreitenden Subkultur wurde durch die auch Spanien treffende Ölkrise 1973 angeheizt. Vielerorts kam es zu Überlegungen die Confederación Nacional del Trabajo (CNT) zu reaktivieren – jene anarchosyndikalistische Gewerkschaft, deren historisches Erbe der 1930er Jahre für viele Linke nun zur Projektionsfläche mannigfaltiger Hoffnungen und Sehnsüchte wurde.
Im spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) hatten sich der Gewerkschaft rund zwei Millionen Menschen angeschlossen. Ihnen ging es um die Abwehr des faschistischen Angriffs Francos und um den Erhalt der selbstverwalteten Ökonomie in den Einflussgebieten der CNT. Nach der Niederlage und der Errichtung der franquistischen Diktatur war die Gewerkschaft zerschlagen worden.
Gegen den gesellschaftlichen Kompromiss
Versuche der Reorganisation gab es schon zu Beginn der 1970er Jahre. Bis zum Tod Francos im November 1975 trafen sich Aktivist*innen noch im Halbverborgenen, um mit der Einrichtung von Gremien und entsprechenden Wahlen den strukturellen Grundstein für die Wiederbelebung ihrer Gewerkschaft zu legen. Mit ihrer offiziellen Legalisierung ging die CNT ab April 1977 dazu über, sich durch Massenkundgebungen mit bis zu 200.000 Beteiligten wieder als gesellschaftliche Kraft zu präsentieren. Auf die zwei Jahre (1976-1978) ihres spontanen Aufstiegs fokussiert sich »El Entusiasmo«.
Auch wenn die Gewerkschaft zu jener Zeit Arbeitskämpfe unterstützte, stand für sie vor allem auf der Agenda, den gesellschaftlichen Kompromiss mit der alten Ordnung abzuwenden.
Auch wenn die Gewerkschaft zu jener Zeit Arbeitskämpfe unterstützte (z.B. 1976 den selbstorganisierten 100-tägigen Streik beim Sanitätsausstatter Roca), stand für sie vor allem auf der Agenda, den gesellschaftlichen Kompromiss mit der alten Ordnung abzuwenden. Mit dem erklärten Anspruch, einen tatsächlichen Bruch herbeizuführen und ein libertäres Gesellschaftsmodell zu verwirklichen, zog die CNT verschiedenste linke Strömungen an. Angesichts der wirtschaftlichen Krise schnürte der neue Ministerpräsident und ehemalige Franquist Adolfo Suárez vom regierenden Mitte-Rechts Bündnis mit anderen Parteien, Gewerkschaften und Unternehmerverbänden den sozialpartnerschaftlichen »Pakt von Moncloa«. Alle Versuche der CNT, dies zu verhindern, scheiterten. Dass sie den herrschenden Kräften dennoch weiter als gefährlich galt, belegt die immense Repression, der die Gewerkschaft auch nach ihrer Legalisierung ausgesetzt war. Spätestens mit dem nachweislich fingierten Anschlag auf das Festhaus Scala im Zuge einer ihrer Demonstrationen im Januar 1978, für den die CNT in Barcelona verantwortlich gemacht wurde, begann dann ihr rapider Abstieg.
»El Entusiasmo« thematisiert weder diesen Niedergang, noch sucht er nach den Ursachen für die jeweiligen Phasen. Der konstante Mitgliederverlust der Gewerkschaft hatte sich bis zum Ende der Transición Anfang der 1980er Jahre zu einer festen Krise ausgewachsen. Die CNT stritt intern um den Umgang mit den sozialen Neuerungen. Das stark repräsentativ ausgerichtete Gewerkschaftssystem in Spanien sah Einfluss nur für die Gewerkschaften vor, die sich integrierten. Die Möglichkeiten, mittels schierer Mitgliedermassen zu wirken, gingen damit zurück. Die Mehrheit der CNT verweigerte sich dem neuen System. Eine kleine Gruppe innerhalb der Gewerkschaft votierte vor diesem Hintergrund für eine Anpassung an die neue Situation: Die Teilnahme an Gewerkschafts- und Betriebsratswahlen, sowie die Akzeptanz staatlicher Subventionen müsse ohne die Aufgabe syndikalistischer Prinzipien in Erwägung gezogen werden, um die Möglichkeiten des Einflusses auf die Lebensbedingungen der Arbeiter*innenklasse zu erhalten. Dieser Konflikt um die strategische Stoßrichtung mündete letztlich in der Abspaltung der kleineren Fraktion. Seit 1989 hört sie auf den Namen Confederación General del Trabajo (CGT).
Militante und die Jugend
Diese zweite Phase der CNT in der Transición, der inneren Zerrissenheit und des Ringens um die Ausrichtung, spart der Film aus. Stattdessen wechseln sich Szenen ab, die die Energie, die intensive, drängende Atmosphäre all der Menschen transportieren, die sich in den 1970ern unter dem Banner der CNT (wieder) zusammenfanden. Die Zuschauer*innen bekommen eine Ahnung davon, wie es sich angefühlt haben muss, als die Jugend auf die erfahrenen Militanten traf und zum ersten Mal von deren Redefreiheit und Streitkultur infiziert wurde oder wenn in den Diskussionen die Ideologietreue der Exilant*innen mit den neuen Themen der jungen Generation konfrontiert wurde. Diese emotionale Stoßrichtung von »El Entusiasmo« geht auf. Die gekonnte filmische Vermittlung der Entschlossenheit, der Motivation und der Hoffnung lässt deren gegenwärtiges Fehlen offensichtlich werden. Das Tempo des Films ist enorm. Die Frequenz der Ereignisse reißt die Zuschauer*innen mit und verlangt gleichzeitig nach Pausen, um reflektieren und verstehen zu können, was da eigentlich gerade passiert. Und es stellt sich die Frage, inwieweit die CNT und ihre Akteure nicht selbst von der Dynamik in dem Sinne mitgerissen wurden, dass ihnen der Zugriff auf die Entwicklungen entglitt.
Inhaltlich bleiben die Zuschauer*innen mitunter abgehängt zurück, denn »El Entusiasmo« holt diese nicht ab. Der Film wirft eine*n direkt in die ereignisreiche Szenerie, anstatt zur Geschichte hinzuführen. Die Kommentare der Zeitzeug*innen helfen da nur bedingt weiter. Ohne Vorwissen funktioniert »El Entusiasmo« als (Lern-)Filmerlebnis daher eher weniger. Es bleiben Fragen nach den Kontexten, den Beweggründen der Protagonist*innen und dem Gegenstand der hitzigen Debatten. Der Film kann trotzdem als Ausgangspunkt für eine weitergehende Auseinandersetzung funktionieren, denn diese Fragen, die der »andere kurze Sommer der Anarchie« aufwirft, sind für die Linke auch heute noch relevant.