Diese Empathie kommt zu spät
Die Doku »Framing Britney Spears« ist Zeugnis der frauenfeindlichen Popkultur-Ära der 2000er Jahre – und trotzdem unsolidarisch
Von Nadia Shehadeh
Vor ein paar Wochen feuerte die Dokumentation »Framing Britney Spears« eine neue Debatte um das Schicksal der Sängerin an, die seit Jahren unter die Vormundschaft ihres Vaters gestellt lebt und zuvor eine Dekade lang von Medien und Musikindustrie gleichermaßen ausgebeutet, verkannt, hypersexualisiert und bedrängt wurde – ohne ein Umfeld, das sie angemessen geschützt hat, sondern im Gegenteil selbst von ihrer Arbeit bis heute profitiert.
Vorweg: An die Dokumentation »Framing Britney Spears« zu kommen ist, wenn man in Deutschland lebt, fast ein Ding der Unmöglichkeit. Es bedarf einiger umständlicher technischer Umwege, gegebenenfalls US-Kreditkarten und am Ende eines Abonnements des Streamingdienstes Hulu, um an die Doku heranzukommen. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht aber ist: Man muss diese Dokumentation nicht gucken, um nachzuvollziehen, dass vor zehn und 20 Jahren die Welt so einiges zu bieten hatte, was schlimmen Sexismus betrifft – vor allem in der Musikindustrie. Und dass einiges heute mitnichten besser ist.
Es war das Zeitalter legendärer MTV-Produktionen, die heute einen schalen Beigeschmack haben.
Ich bin etwa im selben Alter wie Spears und habe wie sie im Schnelldurchlauf einige Meilensteine in viel zu jungen Jahren hinter mich gebracht: Ich habe ur-jung geheiratet, jahrelang mich selbst und eine ganze Familie (mit-)ernährt, nebenbei studiert, Studienkredite aufgenommen, mich irgendwann scheiden lassen. Die Musik von Spears hörte ich regelmäßig – wenn auch mal mehr, mal weniger. »Stronger« in Dauerschleife, als ich in den Semesterferien 2001 in einer Fabrik Lautsprecherboxen-Rohlinge im Akkord in eine Kunststoffpresse stopfte, »Piece of Me«, als ich 2007 beschloss, meine Ehe zu beenden. Ich war noch nicht mal 30, da hatte ich schon über zehn Jahre sehr beanspruchende Erwerbsarbeit, eine Scheidung und außerdem als i-Tüpfelchen einen Haufen Schulden vorzuweisen. Und auch wenn Spears bei mir nur immer mal wieder im Hintergrund lief, war es doch ab und an beim Blick in die Klatschpresse ein gutes Gefühl zu wissen: Ich war nicht die einzige Frau auf diesem Planeten, die aus verschiedenen Gründen in ihren 20ern vermeintliche Bockmist-Entscheidungen getroffen hatte, die sie irgendwann ausbaden musste. So sah ich das zumindest.
Lifestyles of the rich and the famous
Fast meine kompletten 20er verbrachte ich in einer Zeit, in der ich alles, was ich über Stars wissen wollte, aus der Klatschpresse oder dem Musikfernsehen beziehen musste. Es war das Zeitalter legendärer MTV-Produktionen, die heute einen schalen Beigeschmack haben. Es gab etwa die erfolgreiche Doku-Soap »The Girls of the Playboy Mansion«, in der Hugh Hefner und seine verschiedenen sehr jungen Lebensgefährtinnen als lustige familiäre Clique, die frivol und glücklich in Saus und Braus lebten, porträtiert wurden – und von der wir heute wissen, dass die Protagonistinnen der Serie kontrolliert, regelmäßig mit Drogen gefügig gemacht und von Hefner kleingehalten wurden – auch dank der Offenlegungen von Holly Madison, die zum Laufzeitpunkt der Serie die Haupt-Lebensgefährtin von Hefner war.
Es gab auch Produktionen wie »The Simple Life«, in der Paris Hilton und Nicole Richie als vermeintliche Hohlbrote durchs Land reisten und sich zur Unterhaltung der Zuschauer*innen komplett weltfremd und wohlstandsverwahrlost gaben – etwa, indem Paris Hilton so tat, als hätte sie noch nie etwas von der Warenhauskette »Walmart« gehört. Musiker*innen kuratierten ihr Selbstbild nicht ausgewählt in sozialen Netzwerken, so wie es heute unter anderem auf Instagram möglich ist, sondern wurden von Paparazzi gejagt und belästigt.
Nun hat sich in den letzten Jahren glücklicherweise einiges getan, und so fügt sich die die Doku »Framing Britney Spears« passgenau ein in eine Zeit, in der sich durch #MeToo und Co. zwar Dinge zum Positiven entwickelt haben, aber immer noch mit zweierlei Maß gemessen wird – vor allem, wenn es um die Verschränkung von Geschlecht und psychischer Gesundheit geht. Dass ausgerechnet eine Künstlerin so viele Jahre unter eine Vormundschaft gestellt existieren muss, obschon das augenscheinlich nicht ihr eigener Wunsch ist, während das Business um sie herum voll ist von Männern, die ihre Meltdowns teilweise live streamen und twittern, ohne dass das Wort »Vormundschaft« auch nur erwähnt wird, sollte auf jeden Fall stutzig machen.
Misogyne mediale Reflexe
Wenn man die Doku als archäologisches Popkultur-Brennglas betrachtet, ist es natürlich unangenehm, mit anzusehen, wie eine junge Spears von den Medien hypersexualisiert und gleichzeitig für eigene jugendliche und unschuldige romantische Bedürfnisse fertiggemacht wurde. Wir sehen, wie Leute aus ihrem Umfeld dieses Narrativ mitbedienten (allen voran ihr Ex-Freund Justin Timberlake), wie ihre musikalischen Leistungen systematisch kleingemacht wurden und ihre Rolle als Pop-Prinzessin und Idol für junge Mädchen meist als Lachnummer diente – und wie an all dem aber wiederum eine Menge Leute mitverdienten. Dass sie nach ihrem Zusammenbruch 2007 unter die Vormundschaft ihres zwielichtigen Vaters Jamie Spears gestellt, aber trotzdem ungeniert jahrelang weiter zum Geldverdienen losgeschickt wurde (unter anderem in ihrer Dauershow in Las Vegas von 2013 bis 2017 oder auf ihrer Tour 2019, die sie auch nach Deutschland führte), erinnert auf ungute Art und Weise an das Schicksal der 2011 verstorbenen Amy Winehouse. Auch diese wurde teilweise auf Geheiß ihres Vaters bewusstlos in Flugzeuge geschleppt, um zur nächsten Auftrittslocation geflogen zu werden.
Auch Spears wurde Opfer des misogynen medialen Reflexes, immer wieder als durchgeknallte Frau diskreditiert und ausgelacht zu werden. Der Doku gelingt es zwar, diese Systematik aufzudecken – sie muss sich aber eben auch an genau dieser Schublade bedienen, da all die Schnipsel aus Talkshow-, Konzertaufnahmen und Paparrazi-Motiven das Bild der abstürzenden Britney, das man wahrscheinlich eigentlich vermeiden wollte, dann doch nochmal reproduzieren. Und vor allem agiert diese Doku im Stellvertreter-Sprech-Modus, denn Spears konnte man (aus guten Gründen natürlich) nicht für die Darstellung ihrer eigenen Situation zu Wort kommen lassen.
Am Ende geht es dann doch weniger um die Musikerin Spears, die man für ihre Kunst würdigen sollte, die Songs mitgeschrieben und eingesungen hat, die Abermillionen Fans weltweit mitsingen können, die tanzen und performen konnte wie die ganz großen Legenden, und die einen Plattenkatalog vorweisen kann, vor dem man sich eigentlich verneigen müsste. Es geht vielmehr um das »Opfer« Spears, die früher mal eine Pop-Prinzessin war und heute wie eine moderne und eingesperrte Rapunzel aus der Ferne bemitleidet wird – zwar mit einer gehörigen Portion Empathie, aber einer, die etwa zehn Jahre zu spät kommt.