Die Tage rassistischer Gewalt in Hoyerswerda 1991 – eine Chronik
Dienstag, 17. September 1991
Am Nachmittag greifen ca. 15 Neonazis auf einem Wochenmarkt Menschen vietnamesischer Herkunft an, die Zigaretten verkaufen. Um 17.30 Uhr treffen drei Streifenwagen ein. Die Opfer flüchten in das Vertragsarbeiter*innen-Heim in der Albert-Schweitzer-Straße. Es kommt zu Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und den Bewohner*innen des Heimes. Am Abend greift die Polizei ein, ist jedoch unterbesetzt und wird massiv durch Bürger*innen behindert. Neonazis versuchen das Heim zu stürmen.
Mittwoch, 18. September 1991
Es sammeln sich etwa 100 Neonazis vor dem Vertragsarbeiter*innen-Heim in der Albert-Schweitzer-Straße. Es werden rassistische Parolen gerufen. Um ca. 21 Uhr ist die Menge auf ca. 250 Menschen angewachsen, darunter viele Normalbürger*innen. Es kommt zu Schlägereien.
Donnerstag, 19. September 1991
500- 600 gewaltbereite deutsche Bürger*innen, Jugendliche aus Hoyerswerda und bundesweit angereiste Neonazis sammeln sich vor dem Vertragsarbeiter*innen-Heim in der Albert-Schweitzer-Straße. Neonazis werfen Flaschen, Steine und Molotowcocktails auf das Heim, Bürger*innen klatschen Beifall, wenn Molotowcocktails ihr Ziel treffen. Die Heimbewohner*innen versuchen sich zu wehren, indem sie Mobiliar aus dem Gebäude auf die Straße werfen. 17 Menschen werden verletzt.
Freitag, 20. September 1991
Das Vertragsarbeiter*innenheim in der Albert-Schweitzer-Straße wird weitläufig abgesperrt,
dennoch versammeln sich Jugendliche vor den Absperrungen. Es kommt zu Molotowcocktail-Würfen auf die Polizei. Das Ziel von Neonazis und Bürger*innen ist das Asylbewerber*innen-Heim in der Thomas-Müntzer-Straße. Niemand von den Heimbewohner*innen kann vor die Tür. Die Lebensmittelversorgung wird schwierig.
Wochenende, 21.–22. September 1991
Die Räumung des Vertragsarbeiter*innen-Heimes in der Albert-Schweitzer-Straße beginnt. Das Asylbewerber*innen-Heim in der Thomas-Müntzer-Straße wird weiträumig abgesperrt. Am Nachmittag sammeln sich ca. 150 Rassist*innen vor dem Heim Thomas-Müntzer-Straße. Auch Bürger*innen werfen jetzt Gegenstände auf das Heim. Die Menge wird von der Polizei gewaltsam aufgelöst. Um ca. 17 Uhr sammeln sich wieder ca. 30 Neonazis vor dem Asylbewerber*innen-Heim. Ab 18.45 Uhr eskaliert die Situation. Einige Heimbewohner*innen steigen auf das Dach des Gebäudes und bewaffnen sich. Sie werden von einer Spezialeinheit der Polizei vom Dach geholt. Um ca. 20.15 Uhr wird die Thomas-Müntzer-Straße in Richtung Schillstraße geräumt. Es gibt erste Würfe von Molotowcocktails auf die Polizei. Um ca. 21.20 Uhr ist die Albert-Schweitzer-Straße geräumt. Kurze Zeit später sammeln sich an der Straßensperre erneut ca. 100 gewaltbereite Neonazis. Sie greifen die Polizei mit Flaschen, Steinen und Stahlgeschossen an. Am Sonntag rufen antirassistische Initiativen und Menschenrechtsgruppen aus Berlin zu einem Autokonvoi nach Hoyerswerda auf. An dem Konvoi und der anschließenden Solidaritätskundgebung vor dem Wohnheim und in der Stadt nehmen etwa 400 Menschen teil. Die Polizei geht gewalttätig gegen Versuche vor, Kontakt mit den Heimbewohner*innen in der Thomas-Müntzer-Straße aufzunehmen. Einer Delegation gelingt dennoch die Aufnahme von Gesprächen mit Flüchtlingen aus dem Heim.
Montag, 23. September 1991
Die Räumung der Wohnheime hält an. Fast alle mosambikanischen Vertragsarbeiter*innen sind direkt nach Frankfurt zur »freiwilligen« Abschiebung in ihr Heimatland gebracht worden. Die Asylbewerber*innen wurden auf mehrere Baracken und Fabrikgebäude in der Umgebung von Dresden verteilt.
Mittwoch, 25. September 1991
Die ARD-Sendung »Brennpunkt« sendet live aus Hoyerswerda. Bis 22 Uhr sind etwa 300 Menschen vor Ort, die Stimmung ist angespannt. Anwesende Neonazis fordern die Freilassung ihrer Kameraden. Spätabends kommt es erneut zu Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und Polizei.
Sonntag, 29. September 1991
Eine antirassistische Demonstration mit ca. 4.000 Teilnehmer*innen zieht durch Hoyerswerda. Die Polizei errichtet eine weiträumige Absperrung rund um den genehmigten Auftaktort am Asylbewerber*innen-Heim. Gemeinsam angereiste Demonstrant*innen werden nicht durchgelassen. Die Demo dreht um und versucht an anderer Stelle auf die genehmigte Route zu kommen. Auch hier blockiert die Polizei die Route. Nur durch das Eingreifen von Vertreter*innen der Kirche vor Ort kann die antirassistische Demonstration stattfinden.