Die Probleme der Leute im Kiez
Aufgeblättert: »Revolutionäre Stadtteilarbeit«, herausgegeben von Vogliamo Tutto
Von Heide Lutosch
Die Berliner Gruppe Vogliamo Tutto hat einen Weg gefunden, ihr theoretisches Wissen und Können in eine konkrete linke Praxis einzubringen und dort fruchtbar zu machen. Sie hat fünf Stadtteilgruppen interviewt, die versuchen, bei den Problemen der Leute im Kiez anzusetzen, ohne den Anspruch auf eine radikale Gesellschaftsveränderung aufzugeben. Die Gespräche führen hinein in die Schwierigkeiten der Vermeidung von Szenepolitik und Hierarchien, der Politisierung durch Bildung sowie der Organisierung von Miet,- Arbeits,- und Carekämpfen. Wieviel Überwindung und Geduld es kostet, mit »ganz normalen Leuten« über ihre Wohn- oder Jobcenterprobleme ins Gespräch zu kommen und sowohl Unterstützung anzubieten, als auch die dahinterstehenden gesellschaftlichen Ursachen zu thematisieren sowie eine langfristige Selbstorganisierung im Stadtteil zu initiieren, wird in den Gesprächen auch durch die empathisch und präzise gestellten Fragen hör- und nachvollziehbar. Bemerkenswert ist die Bereitschaft der meist jungen Aktivist*innen, das eigene Vorgehen stets kritisch zu reflektieren und, wenn nötig, zu verändern, ohne das Zwischenziel einer initiativenübergreifenden Organisierung aus den Augen zu verlieren. Zusammen mit der einleitenden Skizze der in der radikalen Linken zwischen 2015 und 2018 geführten Strategiedebatte ist dieser gut lesbare Band eine inspirierende Lektüre für alle, die Interesse daran haben, Wege in eine herrschaftsfreie, bedürfnisorientierte Gesellschaft zu finden.
Vogliamo Tutto (Hrsg.): Revolutionäre Stadtteilarbeit. Zwischenbilanz einer strategischen Neuausrichtung linker Praxis. Unrast, Münster 2022. 208 Seiten, 16 EUR.