Die Erfahrung der Bildungsbenachteiligung
Aufgeblättert: Riccardo Altieris und Bernd Hüttners »Klassismus und Wissenschaft«
Von Florian Weis
Auf Pierre Bourdieu, Didier Eribon, Christian Baron und bell hooks beziehen sich die meisten Autor*innen dieses Bandes. Alle Autor*innen eint die Erfahrung von Bildungsbenachteiligung aufgrund der Herkunft aus Elternhäusern ohne bildungs- und besitzbürgerliche Tradition.
Charlotte Wardin weitet den Blick zudem auf Studierende mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen aus und macht so den sperrigen Begriff Ableismus anschaulich: »Das ohnehin dezimierte Kapital muss nochmals auf die zusätzlichen Herausforderungen einer chronischen Erkrankung verteilt werden.« Sahra Rausch kommt zu dem Ergebnis: »Darin liegt die eigentliche Absurdität – nämlich, dass die meisten erst mit dem Klassenaufstieg das Vokabular erlernen, um ihr Herkunftsmilieu und ihren sozialen Aufstieg beschreiben zu können.« Einige Beiträge verwenden eine Begrifflichkeit, die sich außerhalb eines linksakademischen Milieus nur schwer erschließen dürfte.
Dem stehen eindrückliche biografische Schilderungen wie etwa von Corinna Widhalm (Klasse, Sprache und ich), Anna Scharmin Shakoor (Jemand wie ich), Sara (Na Klasse! Und jetzt?) sowie Andreas Stahl (Mehr sein als Schein) entgegen. Erfahrungen und Kenntnisse, die aus der Arbeiterbewegung und von »Arbeiter*innenkindern« stammen, haben, so Elisabeth Malleier, »im Kanon einer Mittelklasseuniversität üblicher Weise keinen Wert«. Ein gerade wegen seiner subjektiv-biografischen Zugänge anregendes Buch.
Riccardo Altieri, Bernd Hüttner (Hg.): Klassismus und Wissenschaft. Erfahrungsberichte und Bewältigungsstrategien. BdWi-Verlag, Marburg 2020. 217 Seiten, 14 EUR.