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Abo| |ak 706 | Alltag |Kolumne: Jawoll, euer Ehren

Das letzte Hemd hat keine Taschen

Von Moritz Assall

Je unerfüllter das Leben, desto größer die Todesangst«, schrieb die Philosophin Gisela Daschner und zitiert im selben Text aus einem Brief des Dichters Clemens Brentano an seine Schwester: »Was wir erinnern, das verlebendigen wir und was wir vergessen, das töten wir.« Weniger zärtlich, fast schon grob hingegen Adorno: »Der Hass gegen die Verstorbenen ist Eifersucht nicht weniger als Schuldgefühl. Der Zurückbleibende fühlt sich verlassen, er rechnet seinen Schmerz dem Toten an, der ihn verursacht.«

Selten dürften sich diese drei Gedanken zum Tod so seltsam vermengen wie im Bestattungsrecht, mit dem ich während meines Rechtsreferendariats einige Wochen zwangsweise befasst war. Dabei ging es konkret meist um die Kosten von ordnungsbehördlichen Bestattungen. Das sind Bestattungen, die angeordnet werden, wenn keine Angehörigen bekannt sind, die sich um die Bestattung kümmern können oder wollen. In einer Stadt wie Hamburg sind das ziemlich viele, ungefähr 1.500 Bestattungen pro Jahr. Oft ging es dabei um Menschen, die in Armut und großer Einsamkeit ihre letzten Lebensjahre verbrachten. Einige von ihnen starben und wurden erst nach einer längeren Zeit in ihren Wohnungen gefunden, so richtig vermisst hatte sie offenbar niemand. Adorno schrieb weiter vom »als Takt rationalisiertes Vergessen« der Toten, und keine Formulierung kann den sich anschließenden juristischen Prozess besser beschreiben: Das detektivische Forschen der Behörden, ob sich nicht doch noch Angehörige finden ließen, um das Geld für die Bestattung einzutreiben. Wenn das Nachforschen erfolgreich war und die maschinell erstellten Zahlungsbescheide in den Briefkästen irgendwelcher entfernten Verwandten landeten, fielen diese meist aus allen Wolken, zumal auch eine einfache Bestattung ziemlich teuer ist. Dann kamen die oft wütenden Antwortschreiben, in denen wortreich beschrieben wurde, dass man mit der verstorbenen Person seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten gebrochen und aus gutem Grund keinerlei Kontakt mehr gehabt habe, ganz sicher nicht die Bestattung bezahlen werde, und so weiter. Manchmal fragte ich mich bei der Aktenlektüre in meiner Referendarskammer, ob der verstorbene Mensch in den letzten Jahren seines Lebens auch nur einmal so viel Aufmerksamkeit erfahren, so tiefe Gefühle verursacht hatte, wie sie die Zahlungsfrage seines Todes hervorrief.

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