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| Alltag |Reihe: Corona bei der Arbeit

Das faulste Virus aller Zeiten? Corona bei der Arbeit (Teil 3)

Aimo (U-Bahnfahrer) und Sophia (Künstlerin)

Protokolle: Carina Book

Um Fabriken, Büros, Kitas und Kantinen scheint das Virus einen großen Bogen zu machen, oder? Foto: Christof Timmermann / Flickr, CC BY-ND 2.0

Man weiß inzwischen eine Menge darüber, wie und wo man sich mit Corona infizieren kann. Nur über einen großen Bereich des Lebens herrscht Schweigen, und Daten sind kaum zu finden: die Arbeitswelt. In der Reihe »Corona bei der Arbeit« dokumentieren wir kurze Berichte und Stimmen aus dem Arbeitsalltag unter Corona. Wenn ihr auch über eure Erfahrungen berichten wollt, schreibt uns: redaktion@akweb.de

Als Verkehrsarbeiter*innen könnten wir ZeroCovid durch das Lahmlegen des Nahverkehrs mit Streiks durchsetzen.

Aimo

Aimo, 34 Jahre, U-Bahnfahrer

Ich arbeite als U-Bahnfahrer bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG). Meine Arbeitspläne sind auf Effizienz geschneidert. Morgen ist mein Dienstbeginn zum Beispiel um 5:51 Uhr. Es wird auf eine halbe Minute genau geplant. Alles ist getaktet, überall wird gespart – aber das Marketing sagt uns: »Weil wir dich lieben«.

Seit Beginn der Pandemie hat sich bei meiner Arbeit eigentlich nicht viel verändert. Angeblich soll die U-Bahn jetzt häufiger gereinigt und desinfiziert werden. Dazu muss man wissen, dass die Reinigungsarbeiten seit den 1990er Jahren an private Reinigungsunternehmen outgesourced wurden. Alle paar Jahre wird neu ausgeschrieben, die Beschäftigten werden gefeuert und von der Firma, die den Preiskampf gewonnen hat, wieder eingestellt. Man müsste hier viel mehr Geld für Personal ausgeben. Aber wenn Rot-Rot-Grün schon den Service-Arbeiter*innen in den Krankenhäusern beständig ins Gesicht schlägt – wie sollte man da im Nahverkehr mehr erwarten.

Die Idee, das Fahrgastaufkommen durch eine höhere Taktung zu entzerren, funktioniert nicht. Wo sollen die Fahrzeuge herkommen? Wir fahren jetzt schon Kurzzüge, und überall werden Wagen gespart. Da spielen auch die Kürzungen bei den Werkstätten eine Rolle. Der Fahrzeugmangel betrifft sowohl die S-Bahnen und die U-Bahnen als auch die Züge der Deutschen Bahn. Wagen kaufen kostet viel Geld. Das will ein Manager, der schöne Zahlen präsentieren will, natürlich vermeiden. Man kann nun nicht per Beschluss hingehen und einfach einen Wagen von der Stange kaufen. Sowas muss man lange im Voraus planen. Wohin das ganze Sparen führt, hat sich schon im Berliner S-Bahn-Chaos gezeigt. Die überbezahlten Manager*innen machen einen destruktiven Job. Das wäre alles anders, wenn die Beschäftigten selbst den Laden schmeißen würden.

Dann hätten wir auch längst die Dienstpläne geändert, um das Infektionsrisiko zu verringern. Wir sollten zwar alle eine Infektionsschutzbelehrung unterschreiben. Der Sinn dahinter ist wohl, dass die BVG-Führung wieder mal die Verantwortung los wird. Als es den ersten Corona-Toten unter den Kollegen gab, hat die Pressesprecherin der BVG gegenüber der Berliner Zeitung gesagt, sie ginge davon aus, dass die Infektion im Privaten stattgefunden hätte, »zum Beispiel bei Feiern«. So eine Dreistigkeit.

Ein großes Problem ist auch, dass noch so viele Leute unterwegs sind, weil sie weiterhin zur Arbeit fahren müssen. So ist das im Kapitalismus. Die Malocher sollen weiter zur Arbeit. Es ist nicht besonders wahrnehmbar, dass Lockdown ist, wenn man guckt, wie viele noch in die Züge einsteigen. Einzig die Schüler*innen fehlen spürbar. Es wäre wirklich wichtig, dass jetzt die Betriebe dicht gemacht werden und sich wirklich nur noch diejenigen mit dem öffentlichen Nahverkehr bewegen, die es nicht vermeiden können. Gerade wir Verkehrsarbeiter*innen könnten dabei maßgeblich zur Durchsetzung einer ZeroCovid-Politik beitragen. Ohne das zu lange auszuwalzen: Wenn ver.di und/oder EVG, GDL, NahVG (und beschränkt auch kleinere Gewerkschaften) wollten, könnten wir ZeroCovid durch das Lahmlegen des Nahverkehrs mit Streiks durchsetzen.

Das ist allerdings etwas komplett anderes, als wenn die Bundesregierung so wie kürzlich darüber nachdenkt, den Nahverkehr einzustellen, um die Mobilität der Menschen einzuschränken, weil es dann Teil einer Bewegung von Lohnabhängigen wäre, um die kapitalistische Produktion einzuschränken, also den Lockdown von unten zu erzwingen. Dafür brauchen wir die Gewerkschaften, und die tun bisher viel zu wenig: Die Vertreter*innen auf allen Ebenen der Gewerkschaftsbürokratien müssen die Frage gestellt bekommen, ob sie bereit sind, das Virus aufzuhalten, oder auf Kosten vieler Menschenleben ihre Hände – 30 Sekunden lang – in Unschuld waschen wollen.

Die Message an uns Künstler*innen ist, dass wir am besten so wenig wie möglich existieren sollen, um das System zu schützen.

Sophia

Sophia, 26 Jahre, freischaffende Künstlerin

Das Jahr 2020 sah für mich so vielversprechend aus, dann kam die Pandemie. Meine Arbeit braucht unmittelbare Nähe, Körperlichkeit und Austausch. Im März sah es erstmal danach aus, dass ich gar nicht arbeiten kann. Als darstellende Künstlerin schützt mich finanziell gerade nur, dass ich einen Kredit habe. Sprich: Mich »rettet« Geld, das nicht mir gehört und das ich irgendwann zurückzahlen muss.

Ich habe einmalig die 2.500 Euro Hilfe für Soloselbstständige bekommen, aber: Die Pandemie dauert jetzt schon ein Jahr lang. Ein Jahr, in dem ich quasi Berufsverbot habe. Dieses Geld hat nur gereicht, um kurzfristig Löcher zu stopfen. Die bürokratischen Hürden für neue Hilfen sind für Menschen mit unregelmäßigem Einkommen, Geringverdienende und Berufseinsteiger, also auch für mich, kaum zu überwinden. Ich habe trotzdem alles daran gesetzt, meinen Beruf auszuüben. Das war nur möglich, indem meine Komplizen und ich viel unbezahlte Zeit und Mittel investiert haben, um weiterhin Produktionen unter Corona-Bedingungen zum Publikum zu bringen.   

Was noch bleibt, ist Fördergelder für Projekte zu beantragen. Nur, dafür muss man natürlich erstmal ein Konzept und die Aussicht auf Durchführbarkeit haben. Alles auf eine Karte zu setzen und sich nur bei einer Stiftung zu bewerben, wäre zu riskant. Das heißt, man geht andauernd in unbezahlte Vorleistung, erarbeitet Konzept um Konzept, und wenn man Glück hat, bekommt man dann von irgendwo eine Förderung. Das gestaltet sich schon ohne Pandemie schwierig.

Glücklicherweise konnte ich weiter mit Schulen zusammenarbeiten, wo ich Performance-Kurse und einzelne Projekte betreue. Digital versteht sich. Das gibt mir und ich denke auch den Schülerinnen und Schülern trotzdem viel. Für sie ist es Abwechslung im anstrengenden Homeschooling, eine Möglichkeit, die verpflichtenden Plattformen als flexibles und künstlerisches Medium zu begreifen, und ein Ort, an dem wir versuchen, spürbare Verbindung miteinander zu schaffen. Das ist auch für mich sehr wichtig, und außerdem ist es Lohnarbeit. Allerdings musste ich auch die Erfahrung machen, dass die Kids oft keine Kapazitäten mehr für sowas haben. Die sind einfach ausgelaugt. Schon schräg: Plötzlich scheitert es dann nicht mehr am Geld, sondern daran, dass die Beteiligten einfach nicht mehr können. Das war total entmutigend für mich. Diese Arbeit fühlt sich an wie ein Lichtblick. Wenn das dann nicht klappt, tut das weh.

Abgesehen von dem finanziellen Desaster frage ich mich schon, welchen Wert ich für diese Gesellschaft habe. Die Message, die meiner Branche seit Beginn der Pandemie gesendet wurde, ist: Das Beste, was ihr Künstler*innen machen könnt, um das System zu schützen, ist so wenig wie möglich zu existieren. Ist mein gesellschaftlicher Beitrag in diesem System nun also Schrott, egal oder Luxusgut?

Ich bin keine Expertin mit Allroundblick. Ich kann vor allem für meine eigene Situation sprechen und vielleicht für einige meiner Kolleginnen. Für mich ist die Frage, wie lange wir als Gesellschaft für das Überleben kämpfen können, während das Leben so völlig auf der Strecke bleibt. Unser Part als Künstler*innen wäre ja eigentlich, neue Zugänge zu ermöglichen, um sich mit einer Krise auseinanderzusetzen, Räume öffnen, Begegnungen schaffen, die Seele bereichern. Das würde Kraft geben und motivieren. Wenn Menschen zusammenkommen, kann man Solidaritäten entwickeln und fühlen. Die Krux an der Sache ist ja aber, dass wir genau das nicht machen dürfen: den anderen nah sein.

Für 2021 sind einige Arbeiten geplant, doch niemand weiß, ob oder wie sie stattfinden können. Das zehrt. Ich habe meine Halbwertszeit auf jeden Fall überschritten. Jeden Tag fällt es mir schwerer. Ich merke, dass ich in einen komischen Trott verfalle, und jetzt fühlt es sich nur noch wie Selbstzerfleischung an. Das hat vielleicht auch etwas mit meinem Beruf zu tun, aber Psyche und Körper sind so stark verbandelt, dass sich die Isolation bei mir richtig körperlich auswirkt. Es fällt mir oft schwer, die Fäden noch in der Hand zu behalten. Wenn ich mit Kolleginnen spreche, erzählen die mir oft ganz Ähnliches: »Die Luft geht mir aus.« Das scheint mir gerade ein kollektiver Effekt zu sein, nach dieser langen Zeit der Angst und Unsicherheit. Deswegen glaube ich, dass es jetzt schnell gehen muss. Die Zahlen müssen runter, am besten auf null, damit es irgendwann eine Perspektive auf ein Stück Normalität geben kann. Dann ist im Sommer vielleicht auch wieder Platz für Kunst, Theater, Musik – schöne und wichtige Dinge im Leben.